F. Es sassen sechs Studenten
(Böhmen um 1910)
Text und Melodie: anonym
1. | Es sassen sechs Studenten zu Frankfurt am Rhein | |
Mit gebundnen Händen sechs Studenten drein. | ||
Sie sassen dort gefangen | ||
Schon sechs Wochen lang. | ||
Weil sie der Freiheit sangen, | ||
Dass die Stadt erklang. | ||
2. | Der Kerkermeister selber klärt sich täglich aus: | |
Bei mir Herr Bürgermeister, reisst auch keiner aus! | ||
Aber sie sind verschwunden | ||
Bei so grossem Sturm, | ||
In der zwölften Stunde | ||
Aus dem hohen Turm. | ||
3. | Eines Tages plötzlich schlug man den Alarm, | |
Das war gar ganz entsetzlich, vom Gendarmen Schwarm. | ||
Suchet, wie ihr wollt, | ||
Suchet hin und her, | ||
Suchet die sechs Studenten, | ||
ihr findet sie nicht mehr. | ||
4. | Wenn die Weiber jammern und ist ihr Herz beschwert, | |
in den verschlossenen Kammern zeigt man ihn' das Schwert. | ||
Es geht für Deutschlands Rechte! | ||
Es geht für Deutschlands Sieg! | ||
Wir sind keine Knechte | ||
Der freien Republik! | ||
5. | Wenn die Fürsten fragen, wo ist Absalon? | |
Da dürfet ihr nur sagen, die letzten hangen schon. | ||
Sie hängen an kein' Galgen, | ||
Sie hängen an kein Strick, | ||
Sondern an der Fahne | ||
Der freien Republik. |
Aufzeichnung aus mündlicher Überlieferung aus Morchenstern (Smržovka) in Nordböhmen durch den Lehrer Josef Meißner zwischen 1908 und 1914.
DVA: A 142244
Editorische Anmerkung:
Morchenstern im Isergebirge, das heutige Smržovka (Tschechien), lag im Nordosten des damaligen Königreiches Böhmen, bei Gablonz an der Neiße. – Aus Nordostböhmen liegen noch drei weitere Aufzeichnungen des Liedes aus dieser Zeit vor, die A. Kahler damals in Braunau (Broumov) gesammelt und dem Archiv der Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Literatur in Böhmen zu Prag überlassen hat; ediert und publiziert wurden sie von John Meier: Volksliedstudien. Straßburg 1917, S. 220–223.
Diese Braunauer Aufzeichnungen enthalten Varianten der oben angeführten vierten Strophe, bei der es sich somit nicht um einen singulären Fall handelt:
Wenn die Weiber jammern, / Daß ihr Herz beschwert, / In verschloßnen Kammern / Reichet uns das Schwert. (ebd. S. 222, Str. 7)
Dies ist insofern bemerkenswert, als es sich bei diesen Versen um eine Textübernahme aus Karl Holteis Lied "Hat man brav gestritten" handelt. Dort heißt es in der dritten Strophe:Ob die Weiber jammern, / Darauf Keiner hört, / Auch verschloss'ne Kammern / Öffnet unser Schwert! (Karl von Holtei: Der alte Feldherr. In: Ders.: Beiträge für das Königstädter Theater. Bd. 1. Wiesbaden 1832, S. 290.)
Da die Melodie zu "Hat man brav gestritten" im 19. Jahrhundert zu "Es saßen sechs Studenten" verwendet wurde, war die Übernahme eines Textfragmentes von der musikalischen Vorlage ein durchaus naheliegender Vorgang. Bemerkenswert ist jedoch, dass sich diese Textversion auch dann noch hielt, wenn die zum Lied verwendete Melodie – wie im vorliegenden Fall (siehe Edition oben) – gar nicht mehr der entspricht, die zu Holtei's Text gebräuchlich war (siehe Edition E).Gegenüber der vorliegenden Edition enthalten die genannten drei Braunauer Aufzeichnungen zum Schluss noch weitere Verse. Zum einen:
Ihr seid angeführet, / Das ist euer Lohn, / Ihr seid angeschmieret, / Spott wohl euch und Hohn. (s. John Meier, wie oben, S. 223, Str. 11)
Ähnliche Zeilen finden sich bereits 1848 im Liedtext (s. Edition A, Str. 3, Vers 7). – Zum anderen:Nun ist der Kampf zu Ende, / So nehmt das Glas zur Hand, / Vivat, ihr Studenten, Jetzt geht's fürs Vaterland. (ebd. S. 223, Str. 12)
Ähnlich auch in einer Version aus der Pfalz (s. Edition D, Str. 6).Die DVA-Abschrift der oben edierten Quelle enthält zwei Anmerkungen:
– Zu Str. 1, Vers 1, wird am Ende des Liedtextes folgender Korrekturvorschlag gemacht: die Zeile solle "wohl richtiger anstatt 'sechs Studenten' – 'in dem Kerker' heissen." Demnach würde der Liedanfang lauten: "Es sassen [in dem Kerker] zu Frankfurt am Rhein". Ein solcher Anfang wäre zwar näher zu den anderen böhmischen Versionen, die mit den Worten "Und im Kerker…" bzw. "In dem Kerker…" beginnen, aber andererseits war der Incipit "Es sassen sechs Studenten" im 19. Jahrhundert die durchaus am häufigsten vorkommende Version. So gesehen wäre in dieser Variante eher – um die Doppelung der "sechs Studenten" zu vermeiden – der zweite Vers zu ändern. – Bemerkenswert ist, dass es wiederum zum offenkundigen Fehler "zu Frankfurt am Rhein" keinen Korrekturvorschlag gibt.
– Zu Str.4, Vers 5: Diese Zeile ist in der Abschrift des DVA mit Fragezeichen gekennzeichnet, vermutlich als Frage, was der inhaltliche Sinn der Formulierung "Knechte der freien Republik" sein könnte. Doch auch hier liegt ein Irrtum vor: Der Vers "Wir sind keine Knechte" ist allgemein recht konstant überliefert, während der nachfolgende Vers vielfach variiert. In anderen Aufzeichnungen aus Böhmen lautet er z. B.: "Frei lebt die Republik." (s. John Meier, wie oben, S. 222).
last modified
25.10.2013 08:29