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Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann


Das seit 1808 belegte und bis heute populäre Kinderlied "Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann" besingt eine vermummte Schreckgestalt, die im Lauf der Liedtradierung jedoch zunehmend harmlosere, ja belustigende Züge angenommen hat.

I. Der Text des einstrophigen Liedes "Es tanzt ein (Bi-Ba-)Butzemann" ist erstmals 1808 im Anhang "Kinderlieder" der romantischen Liedanthologie "Des Knaben Wunderhorn" veröffentlicht worden (Edition A). Als Vorlage diente den "Wunderhorn"-Herausgebern Achim von Arnim und Clemens Brentano eine Aufzeichnung ihres Freundes Jacob Grimm aus mündlicher Überlieferung ("Es tanzt ein Botzemann"; s. Rölleke 1978). Dessen Bruder Wilhelm Grimm zählte den "Butzemann" 1819 im Nachwort der "Kinder- und Hausmärchen" den Figuren zu, mit denen man Kinder erschrecke. Die vermummte Gestalt des "Butzemann" tanze – so heißt es im Lied – "in unserm Haus herum" und werfe dabei "sein Säckchen hinter sich".

II. Der "Butze(n)mann" (oder synonym auch der "Butze", "Mummel" oder "Butzenmummel"; s. Grimm "Deutsches Wörterbuch" 1860/1885) war eine bereits vor 1800 weithin bekannte Schreckgestalt. In einem 1643 erschienenen Erziehungsratgeber kritisierte Hans Michel Moscherosch, dass "etliche unverständige Elttern" ihren Kindern mit dem "Butzenmummel", dem "schwartzen Mann" und Ähnlichem drohen würden. Dies ängstige "die arme Jugend offt also, daß sie weder bey Tag noch Nacht allein gehen, allein sein, allein Schlaffen oder ligen wollen; sondern immerzu sorgen und förchten der Mummel komme." Auch das Lied vom "Butzemann" ist ein Ausdruck solch verfehlter Pädagogik. Eine einschlägige Sammlung ordnete es noch 1914 den "Zuchtreimen" zu und vermerkte: "Wird gesungen, um das schreiende Kind zum Schweigen zu bringen" (Edition D). Schon Ende des 19. Jahrhunderts aber registrierte der Liedforscher Franz Magnus Böhme einen Wandel in der Auffassung des Liedes: Es sei "sonst [d. h.: früher] den kleinen Kindern vorgesungen [worden], um sie zu geschweigen; jetzt singen sie es zu ihrer Belustigung selbst und steht sogar in Schulliederheften" (Erk/Böhme 1893, Nr. 5a).

III. Dass sich der Drohcharakter des Liedes verlor, ist wesentlich der Wirkung von "Des Knaben Wunderhorn" zuzuschreiben. Eine ins Heitere umschlagende Tendenz ("Es tanzt ein Butze-Butze-Butze-Butze-Butzemann") ist an der Vertonung des "Wunderhorn"-Kinderliedes durch Wilhelm Taubert ablesbar ("Klänge aus der Kinderwelt", H. 2, 1847; Edition B). Heiter ist ebenso die ihm in Johann Hinrich Wicherns Sammlung "Unsere Lieder" (1853ff.) zugewiesene Melodie (Edition C), deren Herkunft unklar ist. Die lautmalerische Benennung der besungenen Figur als "Bi-Ba-Butzemann" ist erstmals hier belegt; sie geht vermutlich auf Wichern zurück und dürfte im Sinne einer kindgerechteren Zurichtung des Liedes zu verstehen sein. Auch in der mündlichen Überlieferung verlor sich offenbar nach und nach die Funktion des Liedes als "Zuchtreim". Eine kurz vor dem Ersten Weltkrieg in Unterfranken aufgezeichnete Fassung des Liedes zeichnet den "Potzelmann" als eher lächerliche Figur ("Er hat Pumphosen an / die Beine waren krumm") und klingt mit dem Wunsch aus "Ach hätt' ich doch den Potzelmann, / ich gäb 'n Taler drum" (Edition E).

IV. Im 20. Jahrhundert ist "Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann" in zahlreiche Gebrauchs- und Kinderliederbücher aufgenommen worden (Abb. 1). Die Melodie, nach der das Lied allgemein gesungen wird (Edition D), entspricht nur im Mittelteil der Weise in Wicherns Sammlung (Edition C). Eine skurrile Parodie des Liedes erschien 1966 in "Der schräge Turm" (Edition F). Das populäre Kinderlied ist auf vielen einschlägigen Tonträgern enthalten, teilweise in popmusikalischen Adaption (z.B. als Reggae auf Klaus Trabitsch und Freunde: "Butzemann – Die schönsten Kindelieder", 2005). Ende 2008 nahm die Staatsoper Hannover unter dem Titel "Bi-Ba-Butzemann!" eine "Volks- und Kinderliederreise für Kinder ab 4 Jahren" in ihr Programm auf.

TOBIAS WIDMAIER
Quellenrecherche: JOHANNA ZIEMANN
(März 2012)



Editionen und Referenzwerke
Weiterführende Literatur
  • Grimms Deutsches Wörterbuch Bd. 2, Leipzig 1860 (Sp. 588f. "Butze" [1]; Sp. 592f. "butzen" [2]; Sp. 595 "Butzenmann"; Sp. 596 "Butzenmummel"); Bd. 6, Leipzig 1885 (Sp. 2661 "Mummel" [1])
  • Wilhelm Grimm: Kinderglauben [1819]. In: Kleinere Schriften, Bd. 1. Hrsg. von Gustav Hinrichs. Berlin 1881, S. 399–404 (hier S. 402).
  • Hans Michel Moscherosch: Insomnis Cura Parentum. Abdruck der ersten Ausgabe (1643). Hrsg. von Ludwig Pariser. Halle 1893 (Zitat S. 83).


Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: zahlreiche Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: sehr häufig in Gebrauchsliederbüchern
  • Bild-Quellen: zahlreiche Illustrationen in Kinderliederbüchern
  • Tondokumente: sehr viele Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Tobias Widmaier: Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann (2012). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/es_tanzt_ein_bi_ba_butzemann/>.


© Deutsches Volksliedarchiv
last modified 29.09.2016 10:13
 

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