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Ein Jäger aus Kurpfalz


Das wohl bekannteste deutsche Jägerlied entstand vermutlich gegen Ende des 18. Jahrhunderts und wurde zunächst vor allem durch Liedflugschriften verbreitet. Aus dem ursprünglich erotischen Lied haben Gebrauchsliederbücher einschlägige Strophen in der Folge getilgt. Mehreren Personen hat man in den letzten hundert Jahren zugeschrieben, der im Lied besungene historische "Jäger aus Kurpfalz" zu sein – in der Regel handelt es sich dabei um reine Legendenbildungen.

I. Aus der Zeit um 1800 ist eine Reihe von Liedflugschriften überliefert, die "Ein Jäger aus Kurpfalz" enthalten (z. B. Edition B). Bekannt sind weder der bzw. die Urheber des Liedes noch der Zeitpunkt oder Kontext seiner Entstehung. Es scheint um 1790 geschaffen worden zu sein; aus dem Zeitraum davor gibt es jedenfalls keine Belege des Liedes. Flugschriften waren Medium seiner raschen Popularisierung. Ein "Fliegendes Blatt aus Süddeutschland" bildete auch die Vorlage der ersten Liederbuch-Veröffentlichung ("Sammlung Deutscher Volkslieder", hrsg. durch Büsching und von der Hagen, Berlin 1807).

II. In den Fliegenden Blättern umfasst "Ein Jäger aus Kurpfalz" zumeist fünf Strophen (Edition B). Besungen wird ein aus der Kurpfalz stammender reitender Jäger, der selbstherrlich und nach eigenem Gutdünken dem Jagdvergnügen frönt, in der Zeit der Liedentstehung ein Privileg nur Weniger ("er schießt das Wildprett her, gleich wie es ihm gefällt"). Dieser auch "Hubertus" (Str. 3) genannte Jäger trifft auf ein Mädchen "von achtzehn Jahr", mit der er seine sexuelle Lust auslebt (Str. 4: "zwischen die Bein, auf einmal hinein, da muß das Thier geschossen seyn") und dann die Zeit verbringt "bis daß der Gukguk gukguk schreyt" (Str. 5), was als Anspielung darauf verstanden werden kann, dass er in einem 'fremden Nest' Nachwuchs zeugt. Wegen seiner Anzüglichkeit wurden Fliegende Blätter, die das Lied enthielten, verschiedentlich konfisziert (Karlheinz Fuchs 1975). Als Maßnahme einer Textentschärfung kann gesehen werden, dass dem Objekt der Jagdlust in einigen Fällen nicht zwischen, sondern "in die Bein" geschossen wird (z. B. in "Sammlung Deutscher Volkslieder" 1807). Die Varianz der Belege ist ansonsten gering, was gegen die Annahme einer schon älteren Schöpfung spricht (vgl. III. u. VIII.).

III. In der einschlägigen Literatur trägt das Lied "Ein Jäger aus Kurpfalz" vielfach ältere Datierungen, die jedoch willkürlich sind. Wesentlich zu verantworten haben dies die Volksliedforscher Ludwig Erk und Franz Magnus Böhme. Erk schrieb das Lied 1853 von einem Fliegenden Blatt aus der Sammlung des "Wunderhorn"-Herausgebers Achim von Arnim ab und notierte, jenes sei "wohl in den 90er Jahren" des 18. Jahrhunderts gedruckt worden, "vielleicht schon um 1763". Seine Spekulation gab Erk bald schon als Gewissheit aus: Im "Deutschen Liederhort" (1856) ist unter "Ein Jäger aus Kurpfalz" zu lesen: "Mit Benutzung von flieg. Bl. aus der Zeit um 1763, 1780 u. 1806". Der auf den Sammelarbeiten Erks fußende Böhme merkte zu "Ein Jäger aus Kurpfalz" schließlich an: "Sehr verbreitetes und beliebtes Volkslied, das zur Blüthezeit deutscher Jagdlust zu Anfang des 18. Jahrh. entstanden sein mag, aber erst seit 1750 nachweisbar ist. Erk benutzte fl. Bl. von 1763, 1780 und 1806" (Erk/Böhme 1894). Von da war es nur noch ein kleiner Schritt zur fehlerhaften Datierung "vor 1750" in manchen Gebrauchsliederbüchern. Die erste tatsächlich datierbare Spur des Liedes findet sich 1794 in "Bragur. Ein Litterarisches Magazin der Deutschen und Nordischen Vorzeit". Der Herausgeber Friedrich David Gräter teilte dort die wohl einem Fliegenden Blatt entnommene "Hubertus"-Strophe mit (Edition A), für ihn Beispiel eines dem heiligen Hubertus gewidmeten Jägerliedes: eine freilich verquere Deutung.

IV. "Ein Jäger aus Kurpfalz" dürfte von Beginn an auf die heute noch gängige Melodie gesungen worden sein. Notendrucke oder andere musikalische Quellen aus der Frühzeit des Liedes fehlen jedoch. Franz Magnus Böhme lag eine Handschrift Leo von Seckendorfs mit Liedaufzeichnungen aus dem "Volksmund" vor (entstanden 1800–1808; Verbleib unbekannt), in der die Melodie "bis auf einige Noten" derjenigen glich, die er selbst veröffentlichte (Erk/Böhme 1894). Seckendorf übrigens reihte den Text von "Ein Jäger aus Kurpfalz" unter die "Denkmäler der Volkspoesie" ein, die er im "Musenalmanach für das Jahr 1808" präsentierte (vierstrophige Fassung ohne "Beinschuss"-Strophe, die einem romantischen Volksliedideal widersprach). Eine weitere Stufe der Textbearbeitung ist mit der Einrichtung zum Schülerlied erreicht: Im 1822 erschienenen Liederbuch "für Kinderstimmen" des Breslauer Schullehrer-Vereins findet sich auch der bislang früheste Melodiebeleg (Edition C).

V. "Ein Jäger aus Kurpfalz" ist gelegentlich mit vier Erweiterungsstrophen belegt, die im 20. Jahrhundert allerdings kaum mehr tradiert wurden. In dieser Form lässt sich das Lied bislang erstmals in der von Wilibald Walter herausgegebenen "Sammlung deutscher Volkslieder" (Leipzig 1841) nachweisen, möglich ist jedoch, dass dieser zweite Strophenblock ihm ursprünglich schon zugehörte. Hier wird eine (scheinbar) andere Geschichte erzählt: Der Jäger trifft "zwei Leut'", die in die Kurpfalz reisen. Er gibt sich ihnen gegenüber als "Jäger aus Kurpfalz" zu erkennen, begleitet sie und lädt sie am Ziel zu einem Mahl ein. Die folgenden Ereignisse setzt die Schlussstrophe als bekannt voraus ("Was noch geschah, denkt selber nach!"), das Lied endet mit der Aufforderung, auf den "Jäger aus Kurpfalz" anzustoßen (Edition E, Edition H).

VI. Verankert war das seinerzeit wohl in ganz Deutschland bekannte Lied "Ein Jäger aus Kurpfalz" seit den späten 1830er Jahren insbesondere in der zum Königreich Bayern gehörenden Rheinpfalz. Hier löste es (so ein zeitgenössischer Beobachter) die nach dem Hambacher Fest (1832) noch einige Jahre gesungenen "Freiheitsliedlein" ab, was im Sinne einer Versöhnung mit den politischen Gegebenheiten verstanden wird (August Becker 1858). In einem Brief von einer Konzertreise, die ihn 1844 auch in die Pfalz führte, teilte Felix Mendelssohn Bartholdy seiner Schwester Fanny die Melodie von "Ein Jäger aus Kurpfalz" mit und bemerkte, dieses "Pfälzische Nationallied" werde "den ganzen Tag gesungen, von den Postillonen geblasen, von der Regimentsmusik als Ständchen gespielt, als Marsch gebraucht, und wenn Dich ein Pfälzer besucht und Du willst ihm eine Freude machen, so mußt Du's ihm vorspielen." Das Lied sei in der Pfalz populär, und seine Melodie werde "besonders gern" auf Kirmessen zum Tanz aufgespielt, ergänzte 1857 Wilhelm Heinrich Riehl. "Das Volk" aber, mokierte er sich, wisse gar nicht recht, was es da singe. "Die Gebildeteren schämen sich sogar dieses Liedes als des besonderen pfälzischen Nationallieds, weil der Text zur einen Hälfte nichtssagend und zur andern Hälfte sinnlos ist." Riehl sah den "Kulturhistoriker" gefordert, "einen Commentar zu diesem Liede aus[zu]forschen" (vgl. VIII.).

VII. Wichtige Indikatoren für die Popularität eines Liedes sind Parodien und die Ausbildung von Varianten in der mündlichen Überlieferung. Eine der frühesten zersungenen Fassungen von "Ein Jäger aus Kurpfalz" teilt Franz Wilhelm von Dithfurth 1855 in seinen "Fränkischen Volksliedern" mit (Edition G). Darüber hinaus ist eine große Zahl von Liedparodien überliefert (Rudi Dorsch 2007). So wurde der Text während der Karnevalszeit 1840 in Mannheim von jungen Burschen mit zusätzlichen Schlüpfrigkeiten aufgeladen (Edition D). 1844 schrieb Hoffmann von Fallersleben zur Melodie von "Ein Jäger aus Kurpfalz" mit "Das erwachte Bewußtsein" ein Lied, das die biedermännischen Formen des Politisierens im Vormärz aufs Korn nahm (Edition F). Als Beispiel einer weiteren politischen Parodie sei der 1919 im "Kladderadatsch" erschienene Liedtext "Der 'Jäger aus Kurpfalz' während der Okkupation" angeführt (Edition I), der sich gegen die Besetzung der Pfalz nach dem Ersten Weltkrieg wandte.

VIII. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts geriet "Ein Jäger aus Kurpfalz" in den Fokus einer publizistischen Debatte um die Frage nach der im Lied besungenen historischen Figur. Während pfälzische Heimatforscher Pfalzgraf Johann Casimir (1543–1592) zum Urbild des Jägers erklärten (u. a. Johann Keiper 1905), behauptete Friedrich Wilhelm Utsch, das Lied sei auf seinen gleichnamigen Vorfahren (1732–1795), Forstinspektor im Soonwald, geschrieben worden. Einer Denkmalsenthüllung für Utsch, den vermeintlichen "Jäger aus Kurpfalz", wohnte 1913 Kaiser Wilhelm II. bei, was ein lebhaftes Presseecho auslöste (Karl Scherer 2002). Beide Zuschreibungen aber sind Fiktionen und quellenmäßig durch nichts belegt; dies betrifft auch den später noch ins Spiel gebrachten Johann Adam Melsheimer (1683–1757), der ebenfalls im Soonwald Förster war (Valentin Palm 1957). Dagegen spricht einiges für einen neueren Deutungsversuch, wonach es sich bei "Ein Jäger aus Kurpfalz" um ein satirisches Lied auf Kurfürst Carl Theodor (1724–1799) handeln könnte (Scherer 2002). Eine Reihe von Textanspielungen lässt sich auf ihn jedenfalls beziehen: Der bis 1778 in Mannheim, dann in München residierende Carl Theodor liebte Prunkjagden als Bühne herrschaftlicher Selbstinszenierung, war Großmeister des Hubertus-Ordens (viele Porträts zeigen ihn mit der betreffenden Ordenskette) und hatte Kinder aus zwei außerehelichen Verbindungen mit jungen Tänzerinnen, die er in den Adelsstand erhob. Auch der zweite Strophenblock des Liedes (vgl. V.) würde sich zu dieser Deutung fügen: Möglicherweise spielt er auf die temporäre Verlegung des Hofstaats 1788/89 aufgrund von Unruhen in München zurück ins kurpfälzische Mannheim an (die zwei Reisegefährten des "Jägers" identifiziert Scherer als die damals engsten Vertrauten Carl Theodors, Minister Vieregg und Pater Frank, seinen Beichtvater). Mit diesem Deutungsversuch verbunden ist eine Theorie zur Urheberschaft des Liedes: Stammen könnte es demnach aus dem näheren Umfeld der gedemütigten Kurfürstin Elisabeth Auguste (1721–1794).

IX. Im 20. Jahrhundert wurde "Ein Jäger aus Kurpfalz" breit rezipiert. Dabei setzte sich eine dreistrophige Fassung durch, aus der alle erotischen Elemente getilgt sind. Als Lied, das nurmehr davon singt, "die Jägerei" sei "gar lustig" – so erstmals in einem Schulliederbuch des frühen 19. Jahrhunderts belegt (Edition C) –, fand es nun auch in zahlreichen Kinderliederbüchern Aufnahme (Edition J). Großen Anteil an der bis heute ungebrochenen Popularität des Liedes hat dabei sicherlich seine eingängige Melodie. Bereits 1851 adaptierte sie der Norweger Andreas Aabel für sein Lied "Se Norges blomsterdal" (Edition K), das in den nationalen Liederkanon des Landes einging. Die Popularität des Liedes spiegelt sich auch in zwei aktuelleren Parodien wider, die von dem zeitweise der deutschen Songszene zugehörenden Afro-Amerikaner Rick Abao (1939–2002) stammen, dessen wohl populärste Konzertnummer eine augenzwinkernde Interpretation von "Ein Jäger aus Kurpfalz" im Stil verschiedener Musikkulturen war (Live-Aufnahme auf LP "Jäger aus Churpfalz", 1983); darüber hinaus veröffentlichte Abao eine Techno-Version des Liedes ("Der Techno-Jäger aus Churpfalz", CD-Single 2000).

TOBIAS WIDMAIER
(August 2008)



Literatur
  • Rudi Dorsch: Parodien und Erweiterungen des Volksliedes "Ein Jäger aus Kurpfalz". In: Pfälzer Heimat 58 (2007), H. 1, S. 1–8.
  • Rudi Dorsch: Vom Jäger aus Kurpfalz. In: Pfälzer Heimat 56 (2005), H. 2, S. 45–54.
  • Karl Scherer: Pfalzgraf Johann Casimir (1543–1592) und das Volkslied "Ein Jäger aus Kurpfalz". In: The Huntsman from Kurpfalz. Über den Zusammenstoß und die Zusammenarbeit von deutscher und amerikanischer Jagdkultur. Hrsg. von Werner Kremp. Trier 2002 (Atlantische Texte, Bd. 18), S. 29–64.

Editionen und Referenzwerke
Weiterführende Literatur
  • Lebenslust und Frömmigkeit. Kurfürst Carl Theodor (1724–1799) zwischen Barock und Aufklärung, 2 Bde. (Handbuch und Ausstellungskatalog). Hrsg. von Alfried Wioczorek u. a. Regensburg 1999 (im Handbuch Frieder Hepp: "Der Fürsten Jagd-Lust". Zur kurpfälzischen Jagd im Zeitalter des Absolutismus, S. 141–150; im Ausstellungskatalog S. 50, 69, 104, 105, 190, 223, 267, 268, 343 u. 513 Porträts von Carl Theodor mit Hubertus-Orden).
  • Karlheinz Fuchs: Bürgerliches Räsonnement und Staatsräson. Zensur als Instrument des Despotismus, dargestellt am Beispiel des rheinbündischen Württemberg (1806–1813). Phil. Diss. Freiburg 1975 (S. 358 zur Konfiszierung eines Fliegenden Blattes mit "Ein Jäger aus Kurpfalz" als "gegen die Sitten" verstoßendes Machwerk).
  • Valentin Palm: Wer war der Jäger aus Kurpfalz? Bad Kreuznach 1957 (Verein für Heimatkunde e.V. Kreuznach, 41. Veröffentlichung).
  • Felix Mendelssohn Bartholdy: Briefe aus den Jahren 1830 bis 1847. Hrsg. von Paul und Carl Mendelssohn Bartholdy. 8. Aufl. in einem Band, Leipzig 1915 (S. 283–287 Brief vom 15.8.1844 an seine Schwester Fanny mit Bemerkungen zu "Ein Jäger aus Kurpfalz").
  • Friedrich Wilhelm Utsch: Der Jäger aus Kurpfalz. München 1913.
  • Johann Keiper: Der Jäger aus Kurpfalz. In: Pfälzisches Museum 22 (1905), S. 33–39.
  • August Becker: Die Pfalz und die Pfälzer. Leipzig 1858, S. 297.
  • Wilhelm Heinrich Riehl: Die Pfälzer. Ein rheinisches Volksbild. Stuttgart und Augsburg 1857, S. 54f.


Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: etliche Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: häufig auf Flugschriften, überaus häufig in Gebrauchsliederbüchern, etliche sonstige Rezeptionsbelege
  • Bild-Quellen: gelegentlich auf Liedpostkarten, zahlreiche Illustrationen in Liederbüchern
  • Tondokumente: sehr viele Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Tobias Widmaier: Ein Jäger aus Kurpfalz (2008). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/ein_jaeger_aus_kurpfalz/>.


© Deutsches Volksliedarchiv
last modified 28.09.2016 03:10
 

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