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Aufgewacht ihr deutschen Brüder


Das russlanddeutsche Soldatenlied "Aufgewacht ihr deutschen Brüder" ist in den Jahren zwischen 1874 und 1894 entstanden, vermutlich um 1890. Der Autor des kriegslüsternen Textes ist nicht überliefert. Möglicherweise stammte er aus der Wolgaregion, wo das Lied bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs bekannt war.

I. Die älteste vorliegende Quelle für "Aufgewacht ihr deutschen Brüder" ist ein handschriftliches Liederbuch. Es wurde 1858 von dem Lehrer Anton Schneider in der Kolonie Mariental an der Wolga angelegt und nach seinem Tod von Familienmitgliedern um weitere Liedeinträge ergänzt. Aus welcher Zeit die Niederschrift des Liedes "Aufgewacht ihr deutschen Brüder" stammt, ist nicht bekannt – sicher ist nur, dass sie erst nach 1878 erfolgt sein kann. Wenn man davon ausgeht, dass der hier als "Lied eines russisch-deutschen Soldaten" überschriebene Text vermutlich erst um 1890 entstanden ist (s. unten III.), so dürfte der Eintrag frühestens im ausgehenden 19. Jahrhundert erfolgt sein (Edition A).

II. "Aufgewacht ihr deutschen Brüder" ist ein hurrapatriotisches Soldatenlied, das die russlanddeutschen Wehrpflichtigen auf ein Dasein als kriegsbegeisterte Untertanen einzustimmen versucht. Um das russische "Kaiserreich und Vaterland" zu "schützen", solle der Feind "herzhaft" angegriffen werden, egal ob es sich dabei um "Türken oder Preußen" handle. Als leitende Devise wird dabei jedem "Kriegesmann" die Aufforderung mitgegeben: "Schießet, schießet tapfer Deutscher / Sparet nicht des Feindes Blut" (Str. 3). Dem Genre entsprechend schließt das Lied mit einem demonstrativen "Hurra" auf "Alexander unser Zar". Die melodische Seite des Liedes ist erst aus der Zeit des Ersten Weltkriegs überliefert (Edition B).

III. Im Repertoire der russlanddeutschen Kolonisten sind kriegsverherrlichende Gesänge wie "Aufgewacht ihr deutschen Brüder" äußerst selten zu finden. Ein Parallelbeispiel ist lediglich "Mutig tapfer ziehen wir zum Kriege". In der Regel artikuliert sich in ihren Soldatenliedern eher eine deutliche Abneigung – oder zumindest ein sehr distanziertes Verhältnis – gegenüber dem Kriegsdienst. "Aufgewacht ihr deutschen Brüder" dürfte somit ein Lied sein, dessen Herkunft eher in einer Kaserne als auf dem Dorf zu suchen ist – möglicherweise sogar als bewusste Gegenmaßnahme zur mangelnden Militärbegeisterung unter den russlanddeutschen Rekruten. Ob das Lied direkt im Zuge der Einführung der Wehrpflicht (1874) unter Zar Alexander II. verfasst wurde, ist nicht bekannt. Wahrscheinlicher erscheint eine spätere Entstehung in der Regierungszeit Alexanders III. (1881–1894), denn die im Liedtext explizit formulierte Frontstellung gegen Preußen könnte ein Reflex auf den Bruch der deutsch-russischen Partnerschaft um 1890 sein. Das 1887 abgeschlossene Neutralitätsabkommen zwischen Deutschem Reich und Russischem Reich wurde 1890 von deutscher Seite nicht verlängert, woraufhin Russland 1892 eine Militärkonvention (und ab 1894 ein festes Bündnis) mit Frankreich einging. Auch die Huldigung in der letzten Strophe "Unser Kaiser, der soll leben, / Leben soll das Fürstenpaar" könnte in der Zeit um 1890 – nach dem Attentat auf Alexander II. (1881), dem versuchten Attentat auf Alexander III. (1887) und dem Eisenbahnunfall der Zarenfamilie 1888 – nicht nur als allgemeine Referenzfloskel auf die adligen Herrscher gemeint gewesen sein.

IV. In welchem Umfang das Lied beim russischen Militär Verwendung fand, ist bislang nicht bekannt. Es scheint jedoch nur eine begrenzte Wirkung entfaltet zu haben. Aufnahmen des Liedes unter den Kriegsgefangenen des Ersten Weltkriegs zeigen, dass wolgadeutsche Soldaten sich damals noch gut an die Melodie erinnerten, vom Liedtext aber nurmehr die prägnanten Passagen wiedergeben konnten (Edition B). Die Übernahme des Liedes in ein privates Liederbuch veranschaulicht, dass "Aufgewacht ihr deutschen Brüder" in individuellen Erinnerungen gelegentlich einen markanten Platz innehatte. Gleichzeitig entsprach das Lied jedoch nicht der allgemeinen Mentalität und Haltung der Russlanddeutschen gegenüber Militär und Kriegsdienst und spielte somit in deren kollektivem Gedächtnis längerfristig keine Rolle.

ECKHARD JOHN
(November 2014)



Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: singuläre Aufzeichnung in handschriftlichem Liederbuch
  • Gedruckte Quellen: wenige Belege aus mündlicher Überlieferung
  • Bild-Quellen: —
  • Tondokumente: —
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Phonogrammarchivs St. Petersburg (IRLI) und des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Eckhard John: Aufgewacht ihr deutschen Brüder (2014). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/aufgewacht_ihr_deutschen_brueder/>.


© Deutsches Volksliedarchiv
last modified 28.09.2016 04:14
 

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