Ade zur guten Nacht
Das Abschiedslied von einer treulosen Geliebten "Ade zur guten Nacht" wurde erstmals im frühen 19. Jahrhundert aus mündlicher Überlieferung aufgezeichnet und ab Mitte des 19. Jahrhunderts dann in Gebrauchsliederbücher aufgenommen. Eine breite, bis in die Gegenwart anhaltende Rezeption fand das Lied im 20. Jahrhundert. Sein ursprünglicher Sinn hat sich dabei verschoben: "Ade zur guten Nacht" wird aktuell auch als Abend- oder Kinderlied gesungen.
I. Die frühesten Belege des Liedtextes finden sich unter den überlieferten Einsendungen, die die "Wunderhorn"-Herausgeber Achim von Arnim und Clemens Brentano auf ihre Sammelaufrufe hin erhielten. Die zwei betreffenden, vermutlich 1806 erfolgten Liedniederschriften stammen von Albert Ludwig Danquard, seinerzeit Rektor der Lateinschule im nahe Heidelberg gelegenen Mosbach (Edition A), sowie von Karl Nehrlich aus Hechingen. Sie weisen einige Unterschiede auf, was auf eine bereits längere Liedtradition schließen lässt (so ist das lyrische Ich der Hechinger Fassung weiblich, eine aufs Ganze gesehen nur seltene Liedvariante). In "Des Knaben Wunderhorn" ist das Lied nicht aufgenommen worden; gedruckt erschien es nach bisheriger Kenntnis zum ersten Mal 1843 in Gottfried Wilhelm Finks "Musikalischem Hausschatz der Deutschen" in einer vom Herausgeber bearbeiteten Textversion (Edition B), die rezeptionsgeschichtlich jedoch ohne Bedeutung blieb. Dagegen entspricht die von Fink mitgeteilte Melodie bis auf kleine Nuancen derjenigen, auf die das Lied bis heute gesungen wird.
II. Die einleitende Abschiedsformel "Ade zur guten Nacht" impliziert, dass die im Lied thematisierte Trennung einer Liebesbeziehung endgültigen Charakter hat. Die Wendung "Ade zur guten Nacht" ist wesentlich älter als das vorliegende Lied. Sie ist in genannter Bedeutung bereits 1533 in einer Predigt Martin Luthers belegt. Angesprochen wird dort die Betrübnis der Jünger, als Jesus sich von ihnen im Garten Gethsemane verabschiedet und in den Opfertod aufbricht: Sie seien traurig gewesen – so Luther –, dass Jesus "von ihnen scheiden und ihnen Ade zur guten Nacht geben wollte" (Luther: Evangelien-Auslegung 1961). Auch in einer Reihe von Liedern ist das redensartliche "Ade zur guten Nacht" zu finden. Einen Schlussstrich unter die Beziehung zu einer Frau, die ihm "großes Herzeleid" bereitet habe, zieht das lyrische Ich im Lied "Elend hat mich umfangen" (zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts): "Ade, ade, zu guter Nacht! /…/ Das Herze mein muß leiden Pein, / Jedoch es muß geschieden sein" (Erk/Böhme Nr. 463, Str. 3). In dem 1643 publizierten Flugblattlied "Deß Feld-Obersten Heinrich Rußwurms Valet-Gesang" (DVA: Bl 1036) wendet sich der Liedprotagonist vor seiner Hinrichtung aus dem Gefängnis noch einmal an seine Liebste: "Ade zu tausent guter nacht / jetzund muß ich scheiden / der ich jetzt war in der letzen Schlacht / Darum den Tod muß leiden" (Liedeingang; Formel kehrt in der Schlussstrophe wieder). Ebenso endgültig ist der Abschied in einem anderen Flugblattlied (um 1800): "Adieu zur guten Nacht / jetzt müß ich wandern / Bist zuvor mein Schatz geweßt / Liebst jetzt ein anderen / Mein Hertz ist Trauren voll / Vonwegen deiner / Bist zuvor mein Schatz gewest / Vergißt jetzt meiner" (DVA: Bl 2146; Str. 1).
III. Vom Entschluss, die geliebte Frau aus Gründen, die bei ihr zu suchen sind, zu verlassen und künftig zu "meiden", wird auch im ersten Beleg des hier behandelten Liedes gesungen (Edition A). Im Moment des Abschieds erinnert sich der Mann der schönen Stunden, die er mit ihr in freier Natur (Str. 2) und im "Schlafkämmerlein" (Str. 3) verbracht hat. Diese "Schlafkämmerlein"-Strophe, eine noch in anderen Liebesliedern auftauchende Wanderstrophe, fällt mit der Aufnahme von "Ade zur guten Nacht" in gedruckte Liederbücher unter den Tisch. Eine weitere Veränderung betrifft den zweiten Teil von Strophe 1, wo nun von einer nur temporären Trennung die Rede ist (Edition C, Edition D): Das Versprechen der Wiederkehr – ein durchgehendes Liedelement bis heute – wird freilich konterkariert durch das pauschale Urteil der Schlussstrophe, dass in Liebesdingen alle Mädchen der Welt zur Falschheit neigten. Mit einer zusätzlichen, von Eduard Mörike geschriebenen Strophe, die zurückliegende Momente des Glücks "am Holderstrauch" ausmalt, erschien das Lied 1863 in Georg Scherers "Die schönsten Deutschen Volkslieder" (Edition D). Sie blieb dem Lied in der Folge erhalten. Mörike erweist sich hier als subtiler Kenner erotischer Andeutungen in der volkstümlichen Bilderwelt, auf die er rekurriert, ohne die Grenzen des in bürgerlichen Kreisen seinerzeit Sag- und Singbaren zu überschreiten.
IV. Eine breite Rezeption erfuhr das Lied "Ade zur guten Nacht" erst im 20. Jahrhundert. Ausgangspunkt dafür war seine Beliebtheit in der Jugendbewegung: Der "Zupfgeigenhansl" präsentierte es gleich auf einer seiner ersten Seiten (Edition E). Dass der ursprüngliche Sinn der Redewendung "Ade zur guten Nacht" zunehmend weniger verstanden wurde, führte zu einer Bedeutungsverschiebung des Liedes: Mehr und mehr fasste man es als einen sentimentalen Abschiedsgruß auf (mit der sicheren Aussicht einer Wiedervereinigung der Liebenden), nicht als Aufkündigung einer Beziehung. Diese Tendenz ist mit dem Wegfall der Schlussstrophe (z. B. Edition F) oder mit der Wendung ins Versöhnliche ("Die Mädchen allzumal / sind wie ein Sonnenstrahl / mit ihrem Lieben") noch verstärkt worden. Der Umstand, dass man den ersten Liedvers fälschlich auch als einen Abendgruß verstand, führte schließlich dazu, "Ade zur guten Nacht" sogar den Abendliedern zuzuordnen. Auch als Kinderlied hat es Verbreitung gefunden. Als Vortragslied war "Ade zur guten Nacht" im Repertoire so unterschiedlicher Musiker wie den Comedian Harmonists, Oskar Schulten – der 1946 sein 25jähriges Jubiläum als "Schöpfer und Künder volkstümlicher Kleinkunst" feierte (Abb. 1) –, Heino und Vertretern der Liedermacherszene (Hannes Wader, Hein & Oss Kröher, Perry Friedman, Zupfgeigenhansel – letztere sangen das Lied mit einer neu hinzu gedichteten Strophe von Lerryn, d. i. Dieter Dehm).
BARBARA BOOCK
TOBIAS WIDMAIER
JOHANNA ZIEMANN
(Januar 2009)
Editionen und Referenzwerke
- Erk/Böhme 1894, Bd. 2, S. 572f. (Nr. 768).
Weiterführende Literatur
- D[oktor] Martin Luthers Evangelien-Auslegung. Hrsg. von Erwin Mühlhaupt. 4. Teil: Das Johannes-Evangelium mit Ausnahme der Passionstexte. Bearb. von Eduard Ellwein. 2., durchgesehene Aufl. Göttingen 1961 (Zitat S. 494).
Quellenübersicht
- Ungedruckte Quellen: vergleichsweise wenige Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
- Gedruckte Quellen: vereinzelt auf Flugschriften, sehr häufig in Gebrauchsliederbüchern
- Bild-Quellen: gelegentlich auf Liedpostkarten
- Tondokumente: sehr viele Tonträger
Zitiervorschlag
Barbara Boock, Tobias Widmaier, Johanna Ziemann: Ade zur guten Nacht (2009). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/ade_zur_guten_nacht/>.
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