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Wir hatten gebauet ein stattliches Haus


Das Lied "Wir hatten gebauet ein stattliches Haus" wurde 1819 aus Anlass der Zwangsauflösung der Jenaer Urburschenschaft von August Daniel von Binzer geschrieben. Es gilt als erstes Lied, in dem die heutigen deutschen Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold besungen werden. Die patriotischen Hoffnungen der Studenten, die 1817 das Wartburgfest begangen hatten, sah Binzer mit Ausbruch der Revolution 1848 am Ziel und aktualisierte aus diesem Anlass den Text seines Liedes ("Glück auf! laßt uns bauen ein stattliches Haus"). Während diese zweite Fassung des Liedes kaum Verbreitung fand, ist "Wir hatten gebauet ein stattliches Haus" bis um 1930 häufig in Kommers- und Gebrauchsliederbücher aufgenommen worden. Die Melodie des Liedes wurde bereits 1820 für das nationale Bekenntnislied "Ich habe mich ergeben" übernommen.

I. Das Lied "Wir hatten gebauet ein stattliches Haus" entstand anlässlich der verordneten Auflösung der Jenaer Urburschenschaft und wurde erstmals wohl bei deren letzter Versammlung am 26. November 1819 gesungen. Der zu einer adaptierten Melodie geschriebene Text stammt aus der Feder von August Daniel von Binzer (1793–1868), der als Kieler Student am Wartburgfest (18./19. Oktober 1817) teilgenommen hatte und 1818 an die Universität Jena gewechselt war, wo er 1819 mit einer nationalökonomischen Arbeit promovierte. In Jena leitete der musikalisch kundige Binzer einen studentischen Männerchor und arbeitete an Albert Methfessels "Allgemeinen Commers- und Liederbuch" mit (1. Auflage Rudolstadt 1818). Ende 1819 bzw. Anfang 1820 trug Binzer sein Lied "Wir hatten gebauet ein stattliches Haus" in das auf der Wartburg befindliche Stammbuch der studentischen Festteilnehmer von 1817 ein (Edition A), die mit notierte Melodie bezeichnete er dabei als "Thüringer Volksweise". Erstmals veröffentlicht wurde der Text des Liedes im "Kieler Commers- und Liederbuch" (1821), der Erstdruck mit Melodie erfolgte in der 1825 erschienenen "Auswahl deutscher Lieder" im Leipziger Verlag Serig (Edition B).

II. Die Jenaer Urburschenschaft beschwor in ihrer Gründungsurkunde vom 12. Juni 1815 den "großen Gedanken an ein gemeinschaftliches allumfassendes Vaterland" und stand damit quer zu den im gleichen Jahr getroffenen machtpolitischen Entscheidungen: Nach Ende der Befreiungskriege gegen Napoleon wurde auf dem Wiener Kongress der Deutsche Bund begründet, eine bloß lockere Föderation dynastisch geprägter Territorialstaaten. 1817 luden die Jenaer Studenten Gleichgesinnte anderer deutscher Universitäten zu einem patriotischen Fest auf die Wartburg ein. Die Burschenschaftsbewegung, deren Mitglieder sich als Vorreiter einer geistigen und gesellschaftlichen Erneuerung betrachteten, wurde unter den herrschenden Verhältnissen beargwöhnt und geriet mit der Ermordung des Schriftstellers und russischen Generalkonsuls August von Kotzebue durch den Studenten Karl Ludwig Sand (23. März 1819) schließlich unter den Verdacht einer weitverzweigten Verschwörung. Die unter Federführung des österreichischen Außenministers Metternich im August 1819 geplanten Maßnahmen der Überwachung und Verfolgung liberaler und nationaler Tendenzen in den Staaten des Deutschen Bundes (Karlsbader Beschlüsse) umfassten auch das Verbot der Burschenschaften.

III. Das im Wartburger Stammbuch "Auf die Aufhebung der deutschen Burschenschaft 1819" überschriebene Lied Binzers (Edition A) sieht die 1815 von Jena ausgehende Studentenbewegung als "trauliche" Gemeinschaft, der grundlos "Verbrechen" (Str. 5) nachgesagt werden: "Sie lugten sie suchten / nach Trug und Verrath, / verleumdeten verfluchten / die junge grüne Saat" (Str. 3). Zwar zerstöre man nun das "stattliche Haus" dieser Gemeinschaft, deren "Geist" aber werde "in uns Allen" fortleben, denn "unsre Burg ist Gott" (Str. 8). Wie hier verweist Binzer mehrfach in seinem Lied auf die stark religiös geprägte Haltung der frühen Burschenschaftsbewegung (das Wartburgfest wurde nicht zuletzt auch zu Ehren des Reformators Luther begangen). In Str. 7 schließlich thematisiert Binzer, dass das von den Jenaer Burschenschaftlern als Kennzeichen der Zugehörigkeit getragene, dann von Gleichgesinnten anderer deutscher Universitäten übernommene schwarz-rot-goldene Farbband mit der Zwangsauflösung "zerschnitten", d.h. abgelegt werden musste. Im zeitlichen Anschluss wurden die Farben Schwarz-Rot-Gold zu einem Symbol der bürgerlich-liberalen Nationalbewegung. In Liederbüchern der Restaurationsepoche, die Binzers "Wir hatten gebauet" enthalten, sind die Farben Schwarz-Rot-Gold durch Zensurstriche ersetzt (Edition B). Die von Binzer verwendete "Thüringer Volksweise" lässt sich vor 1819 nicht belegen. Die Melodie von "Wir hatten gebauet" übernahm Hans Ferdinand Maßmann 1820 für sein Lied "Ich hab mich ergeben". Ebenfalls zu dieser Melodie gesungen wird das 1849 entstandene Lied "'s ist wieder März geworden ".

IV. Begeistert vom Ausbruch der Revolution 1848 schrieb Binzer sein Lied "Wir hatten gebauet ein stattliches Haus" um; zuerst veröffentlicht wurde diese Neufassung ("Glück auf! laßt uns bauen ein stattliches Haus") im "Morgenblatt für gebildete Stände" vom 15. April 1848 (Edition C). Nachdem sich die Hoffnung auf Freiheit erfüllt habe, gelte es nun, gemeinsam den "heiligen Bau" (Str. 4) eines gesamtdeutschen Verfassungsstaates zu errichten. Während Binzers aktualisiertes Lied keine breitere Bekanntheit erlangte, findet sich die ursprüngliche Version noch bis um 1930 häufig in Kommers- und Gebrauchsliederbüchern (Edition D).

TOBIAS WIDMAIER
Quellenrecherche: JOHANNA ZIEMANN
(September 2011)



Editionen und Referenzwerke
Weiterführende Literatur
  • Peter Reichel: Schwarz-Rot-Gold. Kleine Geschichte deutscher Nationalsymbole nach 1945. München 2005, S. 16–18.
  • Günter Steiger: Urburschenschaft und Wartburgfest. Aufbruch nach Deutschland, 2. bearbeitete und erweiterte Auflage. Leipzig 1991.
  • Kurt Stephenson: Charakterköpfe der Studentenmusik: August Daniel von Binzer 1793–1868 – Justus Wilhelm Lyra 1822–1882. In: Darstellungen und Quellen zur Geschichte der deutschen Einheitsbewegung im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert. Im Auftrage der Gesellschaft für burschenschaftliche Geschichtsforschung hrsg. von Kurt Stephenson u. a., Bd. 6. Heidelberg 1965, S. 12–64.
  • Kurt Stephenson: August Daniel von Binzer. Das Demagogenschicksal eines Unpolitischen. In: Darstellungen und Quellen zur Geschichte der deutschen Einheitsbewegung im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert. Im Auftrage der Gesellschaft für burschenschaftliche Geschichtsforschung hrsg. von Kurt Stephenson u. a., Bd. 5. Heidelberg 1965, S. 127–182.


Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: —
  • Gedruckte Quellen: sehr häufig in Gebrauchsliederbüchern (bis um 1930)
  • Bild-Quellen: —
  • Tondokumente: selten auf Tonträgern
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Tobias Widmaier: Wir hatten gebauet ein stattliches Haus (2011). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/wir_hatten_gebauet_ein_stattliches_haus/>.


© Deutsches Volksliedarchiv
last modified 16.10.2012 10:51
 

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