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You are here: Home Lieder Welch ein Schrecken war's im Jahre 1914 doch Edition A: Ukraine 1928
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A. Welch ein Schrecken war's im Jahre neunzehnhundert vierzehn doch

(Ukraine 1928)


Text: anonym
Melodie: Alle Menschen müssen sterben

Scan der Editionsvorlage
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Melodie: Alle Menschen müssen sterben.

1. Welch ein Schrecken war's im Jahre Neunzehnhundert vierzehn doch
In den Julimonats Tagen,
Als die Fahn durchzog das Reich!
Wieviel Jünglinge und Männer
Wurden da vor Schrecken bleich,
Da man wusste ja so gut,
Was die Fahn bedeuten tut
 
2. Ach, und kaum war da die Fahne
An dem Dorfsamte vorbei,
Da kam schon der Amtsgesandte
Und lud uns zur Kanzelei:
- Ihr müsst alle gleich erscheinen,
Nicht Soldaten nur allein,
Jeder, der wo Reservist,
Auch noch der wo Ratnik[ ]ist.
 
3. Als wir kamen zur Kanzlei,
Und der Schreiber ruft gleich bei:
- Was ich muss euch offenbaren
Habt ihr, denk ich, schon erfahren,
Deutschland hat uns Krieg erklärt,
Drum werd ihr jetzt moblisiert.
Kommet her und unterschreibt,
Denn ihr habt nicht mehr viel Zeit.
 
4. Ach, und schon nach dreien Tagen
Welch ein Weinen und Geklag!
Hier – der Vater, dort – die Mutter
Von dem Sohn jetzt Abschied nimmt.
Ach, sie weinen all so sehr,
Dass es doch wird jedem schwer,
Wenn's auch keinen Sohn hier hat,
Den des Los getroffen hat.
 
5. O, wie weh tut es den Eltern,
Wenn der Sohn muss in den Krieg,
Denn Gott weiss, ob sie ihn werden
Noch mal sehn auf dieser Welt,
Ob er nicht wird sterben müssen
In dem blutgen Schlachtenfeld,
Doch die Eltern trösten sich:
Gott verlässt die seinen nicht!
 
6. Und es sind nicht nur die Eltern,
Die hier weinen um den Sohn.
Auch die Brüder stehn daneben
Und das liebe Schwesterlein.
Ach, sie weinen all und klagen,
Weil der Bruder wird erschlagen
Von des Feindes Grossgeschütz,
Wenn ihn Gott der Herr nicht schützt.
 
7. Ach, es ist nicht nur der Sohn
Hier so schwer da Abschied nimmt,
Von den Eltern, von den Brüdern
Und vom lieben Schwesterlein:
Grösser ist der Jammer doch,
Den ich auch jetzt schildre noch.
Selbst erfahren hab ich's auch,
Als ich Abschied nahm vom Haus!
 
8. Unter den so vielen Söhnen
Die jetzt müssen in den Krieg
Steht ein mancher in der Ehe
Und hat Weib und Kindelein.
O, wie schwer, wie schwer zu scheiden
Von den Kindern, von dem Weibe,
All von denen, die er liebt,
Muss er fort in grossen Krieg.
 
9. Hände ringend unter Tränen
Steht das Weib bei ihrem Mann,
Den sie sieht jetzt ohne Kinder
Als verlassne Waislein an.
Und die Kinder stehn und weinen,
Halten fest ihn Hand und Beinen,
Flehen auf ihn dringend ein:
- Vater, bleibe doch daheim!
 
10. Jetzt vor lauter Gram und Schmerzen
Bricht dem Vater auch sein Herze,
Hände faltend, Kniee beugend,
Liegt der Vater nun vor Gott,
Schämt sich nicht mehr vor den Leuten,
Denn sein Leid und Schmerz war gross.
Heiland, schütz doch Weib und Kind,
Und vergieb mir meine Sünd'.


Aufgezeichnet in der Kolonie Hoffnungstal, Kreis Odessa (Ukraine) im Sommer 1928 durch Viktor Schirmunski; Abschrift aus dem Liederheft von J. Fischer.
DVA: DVL – M 10, Nr. 1
IRLI Handschr. Abt.: Fond 104 – 12 – 31, Veröffentlichung mit Genehmigung von IRLI RAN, Sankt-Petersburg.


Editorische Anmerkung:
2. Strophe, letzter Vers: hier fehlt in der Textabschrift ein Leerzeichen, "Ratnik ist" müsste es korrekt lauten.
Dieser Liedbeleg wird von Viktor Schirmunski auch in seinem Aufsatz über "[d]as kolonistische Lied in Rußland" zitiert (in: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 37/38 (1927/28), S. 182–215; dort S. 201f.). Schirmunski übersetzt das aus dem russischen übernommene Wort "Ratnik" dort in einer Fußnote mit "Landwehrmann" (S. 201).
Zu dem Melodieverweis "Alle Menschen müssen sterben" finden sich allein in Johannes Zahns "Die Melodien der deutschen evangelischen Kirchenlieder" dreizehn Melodievarianten (4. Bd., Gütersloh: Bertelsmann 1891, Nr. 6776–6788, S. 176–180). Ob sich der Verweis auf eine dieser Melodien bezieht, liess sich einstweilen nicht rekonstruieren. Christa Plänitz wertete acht unter Russlanddeutschen besonders verbreitete Kirchengesangbücher sowie mehrere freikirchliche Liederbücher aus (in: Die Liederhandschriften der Russlanddeutschen. Quellensammlung und Untersuchung. Marburg: Elwert 1995). "Alle Menschen müssen sterben" ist dort insgesamt drei mal in folgenden Gesangbüchern belegt:
  • Christliches Gesangbuch für evangelische Gemeinden. Neue, verb. und verm. Ausgabe. Odessa: o. J. (wohl vor 1902), Nr. 615.
  • Sammlung christlicher Lieder für die öffentliche und häusliche Andacht zum Gebrauch der deutschen und evangelischen Kolonien an der Wolga. 24. Auflage. Dorpat: Laakmanns 1914, Nr. 629, 779.
  • Philadelphialieder-Notenbuch (bei Plänitz ohne bibliographische Angabe; in der Ausgabe des DVA: Hrsg. vom Altpietistischen Gemeinschaftsverband in Württemberg. Reutlingen: Gemeinschaftsbuchhandlung 1932, S. 322, Nr. 731)
Der einzige dieser Belege, der musikalische Informationen enthält, ist das Philadelphialieder-Notenbuch. Dieser enthält eine Melodie sowie den Verweis, daß dies die Weise von "Jesu meines Lebens leben" sei. Die Melodie im Philadelphialieder-Notenbuch gleicht jedoch keiner der bei Zahn angegebenen Weisen zu den Liedern "Alle Menschen müssen sterben" oder "Jesu meines Lebens leben" (zu Letzterem s. Zahn, 4. Bd., Gütersloh: Bertelsmann 1891, Nr. 6794–6803, S. 182–185).
last modified 16.09.2013 01:08
 

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