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Liederlexikon

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You are here: Home Lieder War wohl je ein Mensch so frech Edition B: Frühester Druck 1845
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B. War wohl je ein Mensch so frech

(Frühester Druck 1845)


Text: anonym; bearb. Johannes Scherr (1817–1886)
 


   War wohl je ein Mensch so frech,
Als der Bürgermeister Tschech? |[S. 212]
Denn er traf auf ein Haar
Unser theures Königspaar.
Ja, er traf die Landesmutter
Durch den Rock ins Unterfutter.
Kaum die Uhr noch war halb achte,
Als noch Niemand Böses dachte,
Ist ein Mann im grauen Mantel
Durch das Schloßportal gewandelt.
Dieß war Tschech der Hochverräther,
Königsmörder Attentäter!
Ach, es hat der Bösewicht
Unsern Gott im Herzen nicht;
Pocken hat er im Gesicht,
Sonsten sah man Böses nicht.
Friedrich Wilhelm kam heraus,
Sah noch ganz verschlafen aus.
Tschech zieht ein Pistol hervor,
Trifft den König fast ans Ohr.
Doch es packt ihn ein Gensdarme
An dem frevelhaften Arme
Und man keilt den Wütherich
Auf der Stelle fürchterlich.
Als der König ihn erblicket
Von Gensdarmen rings umstricket,
Zeigt er plötzlich viel Courage
Und spricht schnell zur Equipage:
Auf dem Schloßplatz halt' man still, |[S. 213]
Weil das Volk mich sehen will!
Drauf dreht er sich um und spricht:
Kinder, ich hab' Nischt gekriegt!
Dick und fett, ihm fehlte wenig,
Alles brüllt': es leb' der König!
Aber wo war Dunker hin?
Dunker, der war in Stettin.
Dunker hätte sonst errathen,
Daß man wollte attentaten,
Wär' er in Berlin gewesen,
Würd' man dieses jetzt nicht lesen.
Hier die Moral zu dem Gedicht:
Traut keinem Bürgermeister nicht!


[Johannes Scherr:] Das enthüllte Preußen. Vom Verfasser der Schrift "Würtemberg [sic] im Jahre 1844". Winterthur: Steinersche Buchhandlung, 1845, S. 211–213.
DVA: B 50314

Dort folgende Rollenzuweisung: "Eckensteher Nante (drehorgelnd in der Ferne)".


Editorische Anmerkung:
Mit dem im Text erwähnten "Dunker" ist ein damals für seinen Spürsinn bekannter Berliner Polizeirat (Duncker) gemeint. – Das Lied erscheint innerhalb eines satirischen Dramolets ("Ein Märchen als Zwischenakt") über den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. Der Umstand, dass Scherr das Lied in seinem Stück von einer Figur namens "Eckensteher Nante" vortragen lässt, führte zu Spekulationen darüber, ob der damals populäre Humorist und Satiriker Adolf Glaßbrenner möglicherweise der Autor des Tschech-Liedes sei. Schon Wolfgang Steinitz (1962) stand dieser Annahme skeptisch gegenüber. Näheres zu dieser und anderen Autorzuschreibungen im ausführlichen Kommentar (John 2009). Dort ebenfalls zur leicht überarbeiteten Version des Liedes, die Scherr 1846 veröffentlichte, sowie zu den Nachdrucken in Zeitschriften des Jahres 1847.
last modified 29.09.2016 11:51
 

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