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You are here: Home Lieder Seht, da steht der große Hecker Edition B: Zusatzstrophen 1848/49
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B. Seht, da steht der große Hecker

(Zusatzstrophen 1848/49)


Text: Karl Christian Gottfried Nadler (1809–1849)
 

Scan der Editionsvorlage
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Das Guckkasten-Lied vom großen Hecker
 
(Nach bekannter Melodei zu singen.)
 
1. Seht, da steht der große Hecker,
   Eine Feder auf dem Hut,
Seht, da steht der Volkserwecker,
   Lechzend nach Tyrannenblut!
Wasserstiefeln, dicke Sohlen,
Säbel trägt er und Pistolen,
   Und zum Peter sagte er:
   "Peter, sei du Statthalter!"
 
2. "Peter", sprach er, "du regiere
   "Constanz und den Bodensee,
"Ich zieh' aus und commandire
   "Unsre tapfere Armee;
"Mit Polacken und Franzosen
"Wird der Herwegh zu mir stoßen,
   "Und der stirbt lebendig eh'r,
   "Als daß er ein Hundsfott wär'." |[S. 280]
 
3. Pflästerer und Schieferdecker,
   Alles, niederig und hoch,
Alles jauchzte unserm Hecker,
   Als er aus zum Kampfe zog.
Handwerksburschen, Literaten,
Schneider, Bauern, Advokaten,
   Alles folgte rasch dem Zug,
   Als er seine Trommel schlug.
 
4. Rumbidibum, so hört' man's schlagen,
   Rumbidibum Dumdumdumbum;
Und bei Straf' ließ Weißhaar sagen
   Rings im ganzen Land herum:
"Thut euch schnell zusammenraffen,
"Gebt mir Mannschaft, Pferde, Waffen,
   "Oder ich bring' Alles um;
   "Rumbidibum Dumdumdumbum."
 
5. Und die reizende Frau Struwwel
   Warb mit ihrem Flammenblick
Tausend Mann in diesem Trouble
   Für die deutsche Republik;
Gelder fand man in den Kassen,
Die man sich that öffnen lassen;
   Wein bracht' man aus jedem Haus
   Für die Republik heraus. |[S. 281]
 
6. Durch die Baar that man jetzt wandern,
   Und hernach in's Wiesenthal,
Und daselbst stieß man bei Kandern
   Auf Soldaten ohne Zahl.
Edler Gagern, wackre Hessen,
Wollt ihr euch mit Hecker messen?
   Gagern, du kommst nicht zurück,
   Vivat hoch die Republik!
 
7. Gagern wollt' parlamentiren,
   Doch das ist nicht Hecker's Art;
"Ich", sprach er, "soll retiriren,
   "Ich mit meinem rothen Bart!?" –
Ach! nun hört' man Schüsse knallen,
General Gagern sah man fallen –
   Und der tapf're Hinckeldey
   Saß zu Pferde auch dabei.
 
8. Hecker wollt' nicht länger bleiben,
   "Rechtsumkehrt euch" donnert er;
Und zur Eile ließ er treiben,
   Denn es stürmte gar zu sehr.
Die Musik lie[ß] er erklingen,
Und sein Corps fing an zu singen:
   "Hecker ist ein großer Mann,
   "Der für Freiheit sterben kann." |[S. 282]
 
9. Und als dieses vorgefallen,
   Fing man leider auf dem Rhein,
Zur Bekümmerniß uns Allen,
   Unsern edeln Struwwel ein;
Man that ihn in Eisen legen,
Aber von des Heckers wegen
   Ließ der Oberamtmann Schey
   Den Gefang'nen wieder frei.
 
10. KaiserWeishaarStruwwelPeter,
   Alle trieb man allbereits
Gleichsam als wie Uebelthäter
   In die schöne, freie Schweiz.
Doch der Peter, der kam wieder,
Legt die Statthalterschaft nieder,
   "Denn", sprach er, "ich werde alt,
   "Und verlier' sonst mein' Gehalt."
 
11. Hecker, sag, wo bist du, Hecker?
   Legst die Hände in den Schooß?
Auf nun, du Tyrannenschrecker,
   Jetzt geht es auf Freiburg los.
BadnerHessen und Nassauer
Stehen dorten auf der Lauer.
   Doch wir kommen schon hinein,
   Denn neutral will Freiburg sein. |[S. 283]
 
12. All die schönen Stadtkanonen,
   Großer Hecker, sie sind dein;
Und man ladet blaue Bohnen
   Nebst Kartätschen schnell hinein.
Langsdorf will recognosciren,
Läßt sich auf den Münster führen,
   Und guckt durch ein Perspektiv,
   Ob es gut geht oder schief.
 
13. Oben her vom Güntersthale,
   Hinter Wald und Hecken vor,
Kam im Sturm mit einem Male,
   Siegel's wildes, tapf'res Corps.
Aber uns're Hessenschützen
Ließen ihre Büchsen blitzen,
   Und das Corps zog sich zurück,
   Aus war's mit der Republik!
 
14. Denn hinein zu allen Thoren
   Stürmte jetzt das Militär,
Und die Freischaar war verloren
   Trotz der tapfern Gegenwehr;
Alle, die sich blicken ließen,
That das Militär erschießen;
   Alle Führer gingen durch,
   Und erobert war Freiburg. |[S. 284]
 
15. Hecker stampfte auf den Boden,
   Da ihm, als dem Commandeur,
Reitende expresse Boten
   Brachten diese Schreckensmähr;
"Wo sind, rief er, die Reserven?
"Laßt sie ihre Sensen schärfen!" –
   Sprach's, und blus in vollem Zorn
   In sein großes Messinghorn.
 
16. Und nun kamen Herwegh's Schaaren,
   Er und seine Frau kam nach,
Kamen in der Chais gefahren,
   Auf dem Weg nach Dossenbach.
Doch zu ihrem großen Aerger
Sah man dort die Würtemberger;
   Hauptmann Lipp der grobe Schwab,
   Kam von einem Berg herab.
 
17. Hecker's Geist und Schimmelpfennig
   Machten da den Schwaben warm;
Herwegh sah's, er fuhr einspännig,
   Und es fuhr ihm in den Darm.
Unter seinem Spritzenleder
Forcht' er sich vor'm Donnerwetter;
   Heiß fiel es dem Herwegh bei,
   Daß der Hinweg besser sei. |[S. 285]
 
18. "Ach, Madamchen", that er sagen,
   "Aus ist's mit der Republik!
"Soll ich Narr mein Leben wagen?
   "Nein! für jetzt nur schnell zurück!
"Laß für meinen Kopf uns sorgen,
"Komm' ich heut nicht, komm' ich morgen;
   "Ach, wie kneipt's mich in dem Leib,
   "Wende um, mein liebes Weib!"
 
19. Und Madam hieß ihn verkriechen
   Sich in ihren treuen Schooß,
Denn er konnt' kein Pulver riechen,
   Und es ging erschrecklich los;
Schimmelpfennig ward erstochen,
Manche Sense ward zerbrochen,
   Und erschossen mancher Mann,
   Die ich nicht all nennen kann.
 
20. Hecker ging jetzt in die Fremde
   Und empfand den tiefsten Schmerz;
Denn in seinem Blousenhemde
   Schlägt ein großes deutsches Herz;
Mußt er dießmal auch entspringen,
Wird man dennoch von ihm singen:
   "Hecker ist ein großer Mann,
   der für Freiheit sterben kann." |[S. 286]
 
21. Aber 's hat so kommen müssen,
   Denn Jesaja, der Prophet,
Hat darauf schon hingewiesen,
   Weil allda geschrieben steht:
"Disteln tragen eure Aecker –
"Jed' Kameel hat seinen Höcker;"
   Folgt mithin aus dieser Red',
   Daß es durcheinander geht.
 
22. Also ist's in Baden gangen;
   Was nicht fiel und nicht enfloh,
Ward vom Militär gefangen,
   Liegt zu Bruchsal auf das Stroh
Ich, ein Spielmann bei den Hessen,
Der kann Baden nicht vergessen,
   Der den Feldzug mitgemacht,
   Habe dieses Lied erdacht.


Karl Gottfried Nadler: Fröhlich Palz, Gott erhalts! Gedichte in Pfälzer Mundart. Frankfurt a. M.: Heinrich Ludwig Brönner 1851, S. 279–286.
DVA: B 50362


Editorische Anmerkung:
Nadler hatte den Gedichtband erstmals 1847 veröffentlicht. Nach seinem Tod im August 1849 erschienen im Anhang der posthumen Neuauflage 1851 auch seine – zuvor nur unter Pseudonym publizierten – Bänkellieder über Hecker und Struwe.
Der Text des "Guckkastenliedes" enthielt – gegenüber der ersten Textfassung (Edition A) – nunmehr fünf zusätzliche Strophen, die Nadler in Nachauflagen des Flugschriften-Druckes ergänzt hatte. Es handelt sich dabei um die oben edierten Strophen 5, 8, 15, 20 und 21.

Anfangs waren die Textfassungen von Bilderbogen und Flugschrift mit 17 Strophen identisch; s. Druck von K. Schmelzer in Mannheim [1848], (DVA: Bl 9682b). Doch in späteren Auflagen der Flugschrift wurden weitere Strophen ergänzt.
Als erstes fügte Nadler im Juli 1848 eine neue vorletzte Strophe an (s. oben Str. 21) mit dem auf Hecker zielenden Wortspiel "Jed' Kamel hat seinen Höcker":
  • Flugschriften-Druck mit 18 Str.; Mannheim: K. Schmelzer [1848], DVA: Bl 13474.
Diese Version mit 18 Strophen wurde auch in verschiedenen Zeitungen nachgedruckt, z. B.
  • Der Sammler. Ein Blatt zur Unterhaltung und Belehrung 17 (1848), Nr. 50 (Beilage zur Augsburger Abendzeitung, 15. Juli 1848);
  • Beiwagen zum Volksboten für den Bürger und Landmann, Nr. 3, Sonntag 16. Juli 1848 (Beilage zu "Der Volksbote für den Bürger und Landmann", München, Nr. 90, 16. Juli 1848).
Auszugsweise wurde das Lied auch in "Der Reichsbote" (München), Nr. 1 (15. Juli 1848), S. 2 und in "Charivari" (Leipzig) 7. Jg. (1848), Nr. 339 (4. August 1848) nachgedruckt. Dabei werden auch weitere Flugschriftendrucke des Liedes erwähnt: die "Augsburger Abendzeitung" zitiert nach einem in Frankfurt gedruckten Flugblatt (und munkelt geheimnisvoll: "Der pseudonyme Verfasser soll eine bedeutende Stellung in der NationalVersammlung einnehmen."), der "Charivari" weist auf einen bei E. O. Weller (Leipzig) erschienenen Druck hin. Im Juli/August 1848 hatte das Hecker-Lied offenbar die größte mediale Präsenz: unter dem Eintrag des 21. Juli 1948 zitiert es etwa auch Gustav Kühne in seinem "Tagebuch in bewegter Zeit" (Leipzig 1863, S. 363).
  • In der "12. Originalauflage" der Flugschrift 1849, welche "vom Verfasser selbst durchgesehen und vermehrt" worden sei, befanden sich bereits alle fünf zusätzlichen Strophen, die dann 1851 auch in die Neuauflage von Nadlers pfälzischen Gedichten eingingen. Ein Exemplar dieser Flugschrift war laut Karl Steiff vor dem Ersten Weltkrieg im Besitz der Badischen Hof- und Landesbibliothek in Karlsruhe (vgl. Geschichtliche Lieder und Sprüche Württembergs. Stuttgart 1912, S. 958f.), es ist heute aber nicht mehr nachweisbar (vermutlich wurde die Flugschrift 1942 ein Opfer der Zerstörung der Landesbibliothek).
Mit der Veröffentlichung in Nadlers Gedichtband 1851 erschien sein "Lied vom großen Hecker" zwei Jahre nach dem frühen Tod des Autors erstmals unter seinem Namen.

Erläuterungen zum Text:
Neben den die Erstfassung ergänzenden Strophen (s. oben Str. 5, 8, 15, 20 und 21) gibt es nur wenige Abweichungen. Sie betreffen sprachliche Zuspitzungen wie "Struwwel" (statt "Struwel") in Str. 9 und 10, sprachliche Retuschen wie "Schneider" (statt "Tailleurs") in Str. 3, veränderte Übergänge aufgrund der Ergänzungen wie "Und als dieses vorgefallen" (statt "Und als Gagern war gefallen") in Str. 9, oder ereignisbezogene Korrekturen wie "Hauptmann Lipp, der grobe Schwab" (statt "Miller, dieser grobe Schwab") in Str. 16: Hauptmann Lipp leitete eine Kompagnie des 6. Infanterieregiments, das an dem Gefecht beteiligt war, während Generalleutnant Moritz von Miller Oberbefehlshaber der württembergischen Truppen war und "die Bewegungen, die zur Zersprengung der Legion führten" leitete (s. Karl Steiff 1912, wie oben, S. 956, Anm. 13). Korrigiert wurden zudem offenkundige Druckfehler des Erstdruckes wie "Säbel" (statt "Säbeln") in Str. 1, oder "Armee" (statt "Arimée") in Str. 2.
Zu Str. 8 und 20: Die Liedzitate "Hecker ist ein großer Mann, der für Freiheit sterben kann" stammen aus dem damals häufig gedruckten Huldigungslied "Toast an Dr. Friedrich Hecker" ("Hecker! Hoch dein Name schalle").
Zu Str. 21: Im Flugschriftendruck wird bei der Jesaja-Textstelle (Denn Jesaja, der Prophet, / Hat schon darauf hingewiesen, / Weil allda geschrieben steht: / "Disteln tragen eure Aecker – / "Jed' Kameel hat seinen Höcker") verwiesen auf: "Jes. 30, 6 – ?" (s. DVA: Bl 13474). Das Fragezeichen signalisiert, dass dort zwar von Kamelen und Höckern die Rede ist, sich der zitierte Text aber nicht findet; Jesaja 30,6 lautet in der Luther-Übersetzung:
"Dies ist die Last über die Tiere, so gegen Mittag ziehen, da Löwen und Löwinnen sind, ja Ottern und feurige fliegende Drachen im Lande der Trübsal und Angst. Sie führen ihr Gut auf der Füllen Rücken und ihre Schätze auf der Kamele Höcker zum Volk, das ihnen nichts nütze sein kann."
(Die Bibel oder die ganze Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments nach der deutschen Übersetzung D. Martin Luthers. Im Auftrage der Deutschen evangelischen Kirchenkonferenz durchgesehene Ausgabe. Halle a.S. 1892, S. 700f.)

Zur Rezeption dieser Fassung:
Die populäre Rezeption des "Guckkasten-Liedes" orientierte sich primär an der ersten Fassung mit 17 Strophen (vgl. dazu die Anm. zu Edition A). Die erweiterte Fassung mit den oben edierten 22 Strophen kam vor allem in den verschiedenen Neuauflagen von Nadlers pfälzischen Gedichten in Umlauf. Allerdings wurde dieser Gedichtband in erstaunlich hoher Auflage über Jahrzehnte immer wieder neu herausgebracht:
  • 3. Aufl. Frankfurt a. M.: H. L. Brönner 1860, S. 289–296;
  • 4. Aufl. Frankfurt a. M.: H. L. Brönner 1864, S. 235–241;
  • 6. Aufl. Frankfurt a. M.: Winter 1873, S. 186–191;
  • 8. Aufl. Heidelberg: Koester 1882, S. 222–228;
  • Karlsruhe: Lang [1893], S. 225–230.
Der ab 1880 im Verlag Schauenburg (Lahr) von Ludwig Eichrodt herausgegebene Nachdruck von Nadlers "Fröhlich Palz" (mit Illustrationen von A. Oberländer) enthielt das Hecker-Lied jedoch nicht mehr (4. Aufl. bereits 1881, 6. Aufl. 1898); auch die 1895 bei Reclam (Leipzig) verlegte Ausgabe nicht. Erst im 20. Jahrhundert wurde in den (Schauenburg-)Ausgaben das Hecker-Lied wieder ergänzt:
  • Lahr: Schauenburg, 8. Aufl. neu bearb. von Otto Heilig 1922, S. 208–213;
  • Lahr: Schauenburg, 9. Aufl. 1958, S. 235–241;
  • Landau: Pfälz. Verlags-Anstalt 1994, S. 241–246.
Ansonsten findet sich die Fassung mit 22 Strophen nur selten; etwa in
  • Friedrich Lautenschlager: Volksstaat und Einherrschaft. Dokumente aus der badischen Revolution 1848/1849. Konstanz 1920, S. 158–169.

 

last modified 31.08.2011 04:27
 

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