Skip to content. Skip to navigation

Liederlexikon

Personal tools
You are here: Home Lieder Jetzt ist Polen ganz verloren
Document Actions

Jetzt ist Polen ganz verloren


Das politische Lied "Jetzt ist Polen ganz verloren" wurde von russlanddeutschen Siedlern als Reaktion auf die Niederschlagung des polnischen Novemberaufstandes 1830/31 gedichtet und war noch Anfang des 20. Jahrhunderts im Gedächtnis einzelner "Kolonisten" präsent.

I. "Jetzt ist Polen ganz verloren" ist bislang lediglich als singulärer Beleg nachgewiesen. Es wurde im Jahr 1909 durch den Lehrer Peter Sinner in der Wolgaregion aufgezeichnet. Die zugehörige Melodie ist nicht überliefert. Auch über die Entstehung des Liedes ist nichts Näheres bekannt. In seine Auswahl wolgadeutscher "Volkslieder" und Kinderreime, die Sinner 1914 gemeinsam mit Johannes Erbes publizierte, fand "Jetzt ist Polen ganz verloren" keinen Eingang, er übergab die Aufzeichnung aber dem Sprachwissenschaftler Viktor Schirmunski für seine Sammlung "kolonistischer" Lieder der Russlanddeutschen (Edition A).

II. Inhaltlich bezieht sich der Liedtext auf den Novemberaufstand im damals unter russischer Verwaltung stehenden Königreich Polen in den Jahren 1830/31, der von der russischen Armee unter Zar Nikolaus I. niedergeschlagen wurde. Der Sieg über die Aufständischen wird im Lied gefeiert. Zar Nikolaus gilt dem anonymen Autor als Beschützer der Deutschen vor "den Unnützen", dem "polnischen Adelsschmaus" und den Patres, die "das Volk verführen". Der Liedanfang parodiert den ersten Vers des "Lied[es] der Polnischen Legionen in Italien" ("Noch ist Polen nicht verloren"). 1797 von dem polnischen Dichter und Politiker Jozef Wybicki geschrieben, wurde dieses Lied schon bald in andere europäische Sprachen übertragen, inhaltlich abgewandelt und parodiert. Im Vormärz war "Noch ist Polen nicht verloren" in ganz Europa äußerst populär. Textlich leicht verändert wurde das Lied im 20. Jahrhundert zur polnischen Nationalhymne. Interessant ist der Kontrast zwischen der mit Polen sympathisierenden und sich solidarisierenden Haltung, die die Mehrheit der deutschen Bürger in den deutschen Ländern damals vertrat und der Freude über die Entmachtung der polnischen Aufständischen und der Agitation gegen den polnischen Klerus und Adelsstand, die von Russlanddeutschen in "Jetzt ist Polen ganz verloren" artikuliert wird.

III. Über die Rezeption des Liedes gibt es nur wenige Informationen. Inwiefern "Jetzt ist Polen ganz verloren" die Meinung einer russlanddeutschen Mehrheit repräsentierte, lässt sich aufgrund der spärlichen Quellenlage nicht sagen. Zumindest ein Teil der Russlanddeutschen vertrat damals aber ganz offenbar eine pro-russische Position und drückte diese auch musikalisch aus. Ein Musiker aus der Wolgaregion erinnerte den Text von "Jetzt ist Polen ganz verloren" noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts (Edition A). Dies war möglicherweise die Zeit, zu der das Lied nach und nach aus dem kulturellen Gedächtnis der Russlanddeutschen verschwand und in Vergessenheit geriet.

INGRID BERTLEFF
(Januar 2010)



Editionen und Referenzwerke
Weiterführende Literatur
  • Wolfgang Michalka u.a. (Hrsg.): Polenbegeisterung. Ein Beitrag im "Deutsch-Polnischen Jahr 2005/2006" zur Wanderausstellung "Frühling im Herbst. Vom polnischen November zum deutschen Mai. Das Europa der Nationen 1830–1832". Berlin: Kupfergraben Verlagsgesellschaft 2005, S. 19–25.


Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: Einzelbeleg aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: —
  • Bild-Quellen: —
  • Tondokumente: —
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Phonogrammarchivs St. Petersburg (IRLI) und des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Ingrid Bertleff: Jetzt ist Polen ganz verloren (2010). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/jetzt_ist_polen_ganz_verloren/>.


© Deutsches Volksliedarchiv
last modified 16.09.2013 12:59
 

nach oben | Impressum