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Im schönsten Wiesengrunde


Das Heimatlied "Im schönsten Wiesengrunde" wurde Mitte des 19. Jahrhunderts vom württembergischen Hobbydichter Wilhelm Ganzhorn auf eine ältere Volksliedweise verfasst. Über Schulliederbücher fand es rasch weite Verbreitung und etablierte sich als eines der prominentesten, im 19. Jahrhundert neu entstandenen "Volkslieder". Einen besonderen Stellenwert genoss es nach dem Zweiten Weltkrieg bei den Heimatvertriebenen und steht bis heute in der kommerzialisierten "Volksmusik"-Branche hoch im Kurs.

I. Verfasser des Liedtextes war der württembergische Jurist Wilhelm Ganzhorn (1818–1880), Gerichtsaktuar in Neuenbürg und Oberamtsrichter in Aalen, Neckarsulm und Cannstatt. Ganzhorn sammelte Volkslieder – anonym gab er ein "Schwäbisches Volks-Liederbuch" heraus (Stuttgart 1841) – und schrieb Gedichte, meist im romantischen Volksliedton. Sein "Im schönsten Wiesengrunde" entstand im November 1851 zur Melodie des Volksliedes "Drei Lilien, drei Lilien". Der 13strophige Text besingt in stimmungsvollen Bildern die Naturpracht der Heimat, eines "stillen" (nicht konkret lokalisierten) Tals. Die beiden letzten Strophen haben melancholischen Charakter: Die bedrückende Vorstellung, diesen Ort friedlicher Geborgenheit möglicherweise verlassen zu müssen, mündet in dem Wunsch, einst "in Tales Grunde" begraben zu werden (Edition A).

II. Erstmals veröffentlicht wurde "Im schönsten Wiesengrunde" im 3. Heft der von Johann Christian Weeber und Friedrich Krauß herausgegebenen "Liedersammlung für die Schule" (Stuttgart 1852). Gegen den Willen Ganzhorns, der seinen Text zuvor leicht überarbeitet hatte, erschien das Lied hier allerdings nur mit drei Strophen (Str. 1, 12 und 13 der Erstfassung), womit es einen deutlich sentimentalen Akzent erhielt (Edition B). In dieser Form wird das Lied bis heute tradiert. Angestoßen durch die Erstpublikation fand es zunächst vor allem in süddeutschen und Schweizer Schulliederbüchern Aufnahme (u. a. Küsnacht 1854, Schaffhausen 1857, Karlsruhe 1858). Wie hier wurde "Im schönsten Wiesengrunde" anfänglich häufig ohne Verfasserangabe als vermeintlich anonyme "Volksweise" publiziert. In der Folge haben an Stelle Ganzhorns auch andere die Liedurheberschaft beansprucht. So behauptete Otto Weddigen, er habe "Im schönsten Wiesengrunde" 1868/69 mit Bezug auf das Wesertal verfasst (E. Fladt 1922), und Johann Rudolf Weber, ein Lehrer aus Kilchberg bei Zürich, gab an, das Gedicht schon um 1835 geschrieben zu haben.

III. Ende des 19. Jahrhunderts fand "Im schönsten Wiesengrunde" Eingang in die Chorliteratur. Einen Männerchorsatz schrieb u. a. Wilhelm Förstler, 1885–1912 Leiter des Stuttgarter "Liederkranz" (Edition C). Das Lied ist in zahlreichen Gebrauchsliederbüchern des 20. Jahrhunderts vertreten, es zählt gemeinhin unter "Die schönsten deutschen Volkslieder" (so z. B. die von Günter Pössinger hrsg. Sammlung, Stuttgart 1978). Der von Ganzhorn gewählte Liedtitel "Das stille Thal" wurde dabei teilweise durch den Incipit "Im schönsten Wiesengrunde" ersetzt (erstmals in: "Stimmt an! Eine Sammlung der beliebtesten Marschlieder und Volksgesänge", hrsg. von Otto Bahlmann, Leipzig 1914) und fand damit auch auf verschiedenen Liedpostkarten Verbreitung (Abb. 1).

IV. Der Heimwehton, der der dreistrophigen Fassung von "Im schönsten Wiesengrunde" innewohnt, hat das Lied gerade unter Auswanderern und Auslandsdeutschen beliebt werden lassen (vgl. z. B. "Liederbuch für die deutsche Jugend in Rumänien", hrsg. von Gottlieb Brandsch, Schäßburg 1925; "Sudetendeutsches Liederbuch", hrsg. vom Sudetendeutschen Heimatbund, Wien 1926). Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Lied von Flüchtlingen und Vertriebenen als Ausdruck der Sehnsucht nach der verlorenen Heimat sehr geschätzt, wie z. B. die Publikation "Singende Heimat Schlesien" (Goslar 1948; Mitherausgeber war der Schlesische Flüchtlingsdienst) oder das 1968 erschienene Liederbuch der Landsmannschaft der Bessarabien-Deutschen zeigen (Edition D).

V. Als Kontrafakturen von "Im schönsten Wiesengrunde" entstanden – vor allem im württembergischen Raum – einige Heimatlieder auf bestimmte Orte (u. a. Bühlertal, Holzbronn und Stammheim bei Calw). Andererseits wurde das Wiesengrund-Lied in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch zunehmend als unzeitgemäß empfunden: Im Song "Deutscher Sonntag" des Liedermachers Franz-Josef Degenhardt (1965 erschienen auf der LP "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern"), der die Scheinidylle der Wirtschaftswunderjahre aufs Korn nimmt, dient Ganzhorns Lied als Chiffre für spießbürgerliche Enge und sentimentale Verlogenheit: "Wenn die Bratendüfte wehen, / Jungfraun den Kaplan umstehn, / Der so nette Witzchen macht, / Und wenn er dann so harmlos lacht, / Wenn auf allen Fensterbänken / Pudding dampft, und aus den Schänken / Schallt das Lied vom Wiesengrund, / Und daß am Bach ein Birklein stund. / Alle Glocken läuten mit, / Die ganze Stadt kriegt Appetit. / Das ist dann genau die Zeit, / Dann frier ich vor Gemütlichkeit."

FRAUKE SCHMITZ-GROPENGIESSER
(September 2008)



Literatur
  • Jürg Arnold: Wilhelm Ganzhorn. Dichter des Liedes "Im schönsten Wiesengrunde" und seine Frau Luise geb. Alber. Leben, Gedichte, Familien, Ahnen. Ostfildern 2004 (Kap. 5: Das Lied "Im schönsten Wiesengrunde", S. 43–51 u. 297-301).

Editionen und Referenzwerke
Weiterführende Literatur
  • Werner Thierbach: Wilhelm Ganzhorn. Sein Leben und Wirken. Neckarsulm: Heimatverein 1988.
  • E. Fladt: Das stille Tal. ("Im schönsten Wiesengrunde"). Der Dichter und sein Lied. In: Deutsche Sängerbundeszeitung 14 (1922), S. 234.


Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: vergleichsweise wenige Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: überaus häufig in Gebrauchsliederbüchern, etliche sonstige Rezeptionsbelege.
  • Bild-Quellen: öfters auf Liedpostkarten
  • Tondokumente: sehr viele Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Frauke Schmitz-Gropengiesser: Im schönsten Wiesengrunde (2008). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/im_schoensten_wiesengrunde/>.


© Deutsches Volksliedarchiv
last modified 16.10.2012 09:39
 

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