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Liederlexikon

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Ich bin ein guter Untertan

(Der gute, stammelnde Untertan)

Das sozialkritische Lied "Ich bin ein guter Untertan" wurde in der Zeit der 1848er Revolution vom Berliner Schriftsteller Adolf Glaßbrenner verfasst. Dieses politische Vexierlied, das auf äußerst pfiffige Weise das Duckmäusertum gegenüber der Obrigkeit aufs Korn nimmt, erfreute sich innerhalb der deutschen Liedermacher- und Folkszene der 1970/80er Jahre großer Beliebtheit.

I. Als politisch engagierter Dichter und Journalist des Vormärzes hat Adolf Glaßbrenner (1810–1876) viele seiner Publikationen unter dem Pseudonym Adolf Brennglas herausgebracht. Er war vor allem als Humorist und Satiriker bekannt, hatte mehrfach mit der Zensur zu kämpfen und veröffentlichte den Text "Ich bin ein guter Untertan" in seinem "Komischen Volkskalender für 1849" (Edition A). In diesem Lied wird die Haltung der bedingungslosen Ergebenheit gegenüber den Herrschenden parodiert. Im Stil eines "Vexierliedes" ist die eigentliche politische Aussage getarnt: Ein scheinbarer Versprecher – ein unerwartetes, nichtreimendes Wort – entschärft auf gleichermaßen lustige wie durchsichtige Weise die politische Brisanz des Textes; doch gerade dadurch wird die Aufmerksamkeit für den kritischen Inhalt erhöht.

II. Offenkundig schrieb Glaßbrenner diesen Text auf die Weise eines bereits populären Liedes, denn er setzte unter die Überschrift "Der gute, stammelnde Unterthan" den Hinweis: "nach bekannter Melodie". Heute ist jedoch nicht mehr bekannt, welches Lied damit gemeint war. Möglicherweise bezog sich Glaßbrenner hierbei auf das erotische Scherzlied "Ich bin ein hochbeglückter Mann": Dieses seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ziemlich verbreitete Lied ist ebenfalls ein Vexierlied, es weist dasselbe Versschema auf wie "Ich bin ein guter Untertan", einschließlich des Vexier-Reims.

III. Über die Rezeption von "Ich bin ein guter Untertan" in der Zeit um 1848 ist wenig bekannt. Neben dem "Komischen Volkskalender für 1849" wurde es in den Jahren 1848/49 auch als Liedflugschrift gedruckt. Für eine gewisse Resonanz in jener Zeit spricht die Aufzeichnung in einem handschriftlichen Liederbuch aus Sachsen 1856/57 (siehe Anm. zu Edition A). Doch insgesamt scheint die Wirkung damals begrenzt gewesen zu sein. Zumindest sind bislang keine weiteren Rezeptionsbelege zu diesem Lied aus dem 19. Jahrhundert bekannt.

IV. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg begegnet man dem Lied vom "guten, stammelnden Untertan" wieder: im Zuge der neuen historischen Traditionsstiftung in der DDR. Dabei korrespondierte der Rückgriff auf das revolutionäre Erbe der 1848er Revolution dem damaligen Aufbauwillen und dem Zukunftsoptimismus hinsichtlich einer künftigen sozialistischen Gesellschaft. Bezeichnenderweise waren es gerade aus dem Exil zurückgekehrte Antifaschisten, die an solche demokratischen Traditionen erinnerten, wie der Literaturwissenschaftler Bruno Kaiser, dessen in zahlreichen Auflagen nachgedruckte Anthologie "Die Achtundvierziger. Ein Lesebuch für unsere Zeit" (1952) auch Glaßbrenners Verse vom "guten Untertan" wieder in Umlauf brachte. Entscheidend für die Wiederbelebung des Textes als gesungenes Lied war das Werk eines anderen Exilierten: "Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten” (1954/64) von Wolfgang Steinitz. Diese wissenschaftliche Edition, die gleichsam zur "Bibel" der jungen Generation von sozialkritischen und politisch engagierten Liedermachern und Sängern wurde, zitierte das Lied vom "guten Untertan" nach der erwähnten sächsischen Liederhandschrift (1856/57). Beim Revival des politischen Liedes in den 1960er und 1970er Jahren haben etliche Interpreten Glaßbrenners Lied aufgegriffen: Als erster Peter Rohland, der um 1965 dafür die Melodie von "Wenn mein Pfeifchen dampft und glüht" benutzte – eine Kombination, die von einigen nachfolgenden Sängern wie Buki (Roland Burkhart) übernommen wurde (Edition B). Andere Interpreten wie Uschi Flacke orientierten sich an der Neuvertonung des Glaßbrenner-Textes von Dieter Süverkrüp, die dieser 1972 für das von Annemarie Stern herausgegebene Buch "Lieder gegen den Tritt" schrieb (Edition C). Eine spätere Neuvertonung von Uli Klan, die er 1980 für seine Folkgruppe "Fortschrott" komponierte, blieb – obgleich musikalisch reizvoll – vergleichsweise unbekannt.

V. Die neue Attraktivität von Glaßbrenners "Untertan"-Lied in den 1970er Jahren beruhte auf seinem satirischen Witz ebenso wie seiner Kritik an Untertanengeist und Anpassung, die dem Zeitgeist der neuen sozialen Bewegungen in der Bundesrepublik sehr entsprach. Daher verwundert es auch nicht, dass damals auch eine zeitgenössische politische Adaptation des Glaßbrenner-Liedes entstand: Für die Protestaktionen gegen den Bau der Startbahn-West am Frankfurter Flughafen schrieb Bodo Kolbe 1981 die Parodie "Ich bin ein guter Demokrat" (Edition D).

DAVID ROBB
ECKHARD JOHN
Quellenrecherche: JOHANNA ZIEMANN
(Juli 2009)



Literatur
  • Reinhard Hippen: "Ich bin ein guter Untertan" (Liedgeschichten 2). In: Folk Magazin. Zeitschrift für Folk, Song, Kabarett 4 (1978), Nr. 3 (Juni), S. 42–46.

Editionen und Referenzwerke
Weiterführende Literatur
  • David Robb: Protest Song in East and West Germany since the 1960s. Rochester/New York. Camden House 2007, S. 14.
  • Bruno Kaiser: Die Achtundvierziger. Ein Lesebuch für unsere Zeit. Berlin und Weimar: Aufbau-Verlag [1952] 11. Auflage 1973, S. 72f.


Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: singuläre Aufzeichnung in Liederhandschrift (19. Jahrh.)
  • Gedruckte Quellen: vereinzelt auf Flugschriften (19. Jahrh.), selten in Gebrauchsliederbüchern (zweite Hälfte 20. Jahrh.)
  • Bild-Quellen: —
  • Tondokumente: etliche Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
David Robb, Eckhard John: Ich bin ein guter Untertan (2009). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/ich_bin_ein_guter_untertan/>.


© Deutsches Volksliedarchiv
last modified 16.10.2012 09:38
 

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