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Heute scheid' ich, heute wand'r ich


Das 1776 veröffentlichte Gedicht "Soldaten-Abschied" ("Heute scheid' ich, heute wand'r ich") von Friedrich Müller, genannt Maler Müller, wurde in der Vertonung Friedrich Ernst Fescas (1822) zum volkstümlichen Lied. Nach dem Ersten Weltkrieg geht die Zahl der Rezeptionsbelege deutlich zurück.

I. Das Gedicht "Soldaten-Abschied" von Friedrich Müller (1749–1825) – bekannter unter dem selbst gewählten Künstlernamen Maler Müller – erschien erstmals 1776 in dessen Sammlung "Balladen vom Mahler [sic] Müller" (Edition A). Von den lyrischen Werken Müllers hatte dieses Gedicht die nachhaltigste Wirkung. In einer Rezension der "Balladen" hob schon Christian Friedrich Daniel Schubart den "Soldaten–Abschied" besonders hervor, "der so ganz verständlich, gemeinsinnig, herzig gemacht" sei, dass "ihn künftig Soldaten würklich singen werden, wenn sie von ihrer Trauten Abschied nehmen, und hinziehen zu streiten fürs Vaterland". Das "Berlinische Litterarische Wochenblatt" veröffentlichte 1777 eine erste Vertonung unbekannter Urheberschaft, die jedoch keinen nennenswerten Widerhall fand.

II. In Müllers Gedicht (Incipit "Heute scheid' ich, heute wand'r ich") nimmt ein Soldat Abschied von seiner Ehefrau, um "für das Vaterland" in den Krieg zu ziehen. Offen spricht er die Möglichkeit an, auf dem Schlachtfeld, wo "hundert tausend Kuglen pfeifen", umzukommen und anonym verscharrt zu werden. Um ihn trauern werde dann wohl einzig seine Gattin, die er bittet, ihn im Fall seines Todes niemals zu vergessen und den gemeinsamen kleinen Sohn gut zu erziehen: "Lehr ihn bethen – gieb ihm Seegen, / Reich ihm seines Vaters Degen, / Mag die Welt sein Vater seyn" (Edition A, Str. 5). Schubart zeigte sich in seiner Rezension von Müllers "Balladen" angetan, dass "nach so viel mattherzigen, stumpfsinnigen Dichterlein, die beständig von Sonne und Wonne, von Liebe und Triebe […] in poetische Phrasen lallen, […] wieder ein Mann daher trit […] und spricht wie ein Mann".

III. Als Lied populär wurde "Heute scheid' ich, heute wand'r ich" in einer 1822 von Friedrich Ernst Fesca (1789–1826) vorgelegten Vertonung ("Fünf deutsche Gesänge mit Begleitung des Piano Forte", op. 27, Nr. 1) (Edition B). In der seinerzeit renommierten "Allgemeinen Musikalischen Zeitung" lobte ein Rezensent, Fesca habe mit seinem "Soldaten-Abschied" ein Werk "im echten Volkstone" geschaffen: "Die Melodie fliesst so natürlich, dass man versucht wird, sie andern bekannten ähnlich zu finden." Aber "gut gedichtete Volkslieder" – wie das von Müller – würden "eine an Bekanntes streifende Weise schlechterdings verlangen, wenn die rechte Wirkung nicht verfehlt werden soll." Der Rezensent sah in Fescas "Soldaten-Abschied" ein seit den 1770er Jahren verbreitetes liedästhetisches Ideal erfüllt und stellte den Komponisten damit unausgesprochen in eine Reihe mit namhafteren Vertretern des "Volkston"-Konzeptes wie Johann Abraham Peter Schulz ("Der Mond ist aufgegangen") und Johann Friedrich Reichardt ("Bunt sind schon die Wälder"). Mit Fescas Melodie ist "Heute scheid' ich, heute wand'r ich" bis ins 20. Jahrhundert hinein in zahlreichen Gebrauchsliederbüchern enthalten. Zu den frühesten Rezeptionsbelegen gehört das 1833 erschienene "Liederbuch für deutsche Künstler" (Edition D), dessen Herausgeber Franz Kugler zur eingängigen Weise des "Soldaten-Abschieds" 1826 ein neues Lied schrieb ("An der Saale hellem Strande"), das alsbald ebenfalls große Verbreitung fand.

IV. Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert sind viele Varianten des Liedes "Heute scheid' ich, heute wand'r ich" aus mündlicher Überlieferung aufgezeichnet worden, ein Hinweis darauf, wie tief es in der Singpraxis verwurzelt war. Ein 1917 erschienener Bericht "Polenlieder aus der Rheinpfalz" enthält eine Umdichtung des Müllerschen Liedtextes, die 1832 als Reaktion auf die Flüchtlingswelle nach der Niederschlagung des Polenaufstandes im Vorjahr entstanden ist ("Polenabschied"). Noch 1917 wurde diese Liedfassung in der Pfalz gesungen (Edition C). Beliebt war das Lied "Heute scheid' ich, heute wand'r ich" auch bei Männerchören. Schon 1827 legte Friedrich Silcher eine Bearbeitung von Fescas Weise für vier Männerstimmen vor (op. 8, Nr. 5), eine gewisse Verbreitung fand auch eine Männerchor-Vertonung von Karl Isenmann (1839–1889), die erstmals 1868 erschien (Edition E). Einen letzten Rezeptionshöhepunkt erlebte das Lied "Soldaten-Abschied" während des Ersten Weltkriegs (Abb. 1).

TOBIAS WIDMAIER
Quellenrecherche: JOHANNA ZIEMANN
(September 2012)



Literatur
  • o. V.: Fünf deutsche Gesänge mit Begleitung des Pianoforte, componirt von F. E. Fesca. Op. 27 [Rezension]. In: Allgemeine Musikalische Zeitung 25 (1823), Nr. 15 vom 9. April 1823, Sp. 238–241 (Zitat Sp. 239).
  • [Christian Friedrich Daniel Schubart]: Balladen vom Maler Müller [Rezension]. In: Teutsche Chronik 3 (1776), 95. Stück vom 25. November 1776, S. 750–752.

Editionen und Referenzwerke
  • Rolf Paulus, Eckhard Faul: Maler-Müller-Bibliographie. Heidelberg 2000, S. 49–55 (Angaben zu Vertonungen bzw. Belegen in Liederbüchern).
  • Friedlaender 1902, Bd. 2, S. 211f. u. S. 553.
  • Hoffmann/Prahl 1900, S.119 (Nr. 558).
  • Erk/Böhme 1894, Bd. 3, S. 245f. (Nr. 1376).


Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: zahlreiche Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: vereinzelt auf Flugschriften, sehr häufig in Gebrauchsliederbüchern
  • Bild-Quellen: gelegentlich auf Liedpostkarten
  • Tondokumente: etliche Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Tobias Widmaier: Heute scheid' ich, heute wand'r ich (2012). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/heute_scheid_ich_heute_wandr_ich/>.


© Deutsches Volksliedarchiv

last modified 07.01.2013 12:04
 

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