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Guter Mond, du gehst so stille


Das Lied "Guter Mond, du gehst so stille" hat in zwei unterschiedlichen Fassungen Verbreitung gefunden: als Liebeslied und als (davon abgeleitetes) Abendlied. Die sentimentale Liebesklage "Guter Mond, du gehst so stille" wurde im späten 18. Jahrhundert von unbekannter Hand geschaffen und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem durch Liedflugschriften verbreitet. Das Lied war seinerzeit enorm populär, was sich auch daran zeigt, dass der Melodie eine Reihe neuer, aktualitätsbezogener Texte unterlegt wurde. Eine Umarbeitung zum abendlichen Andachtslied für Kinder veröffentlichte 1851 der Lehrer Karl Enslin. Diese Kontrafaktur von "Guter Mond, du gehst so stille" etablierte sich in der Folge neben dem ursprünglichen Lied. Im 20. Jahrhundert wurden die beiden Versionen von "Guter Mond, du gehst so stille" unabhängig voneinander weiter tradiert und in unterschiedlichen Kontexten gesungen.

I. Die Liebesklage "Guter Mond, du gehst so stille" dürfte gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstanden sein. Bekannt ist weder der Verfasser des Textes noch der Schöpfer der Liedweise. Im Deutschen Volksliedarchiv sind über fünfzig Liedflugschriften aus der Zeit zwischen etwa 1800 und 1850 dokumentiert, die den Text des Liedes (teilweise in Varianten) enthalten, ein Indiz für dessen damals große Popularität. Zum Zeitpunkt der Publikation einer der wenigen Flugschriften, die Angaben zum Erscheinungsjahr und Verlagsort enthalten (Ratibor 1808; Edition A), war das Lied bereits allgemein geläufig (vgl. III.). Das bislang früheste ermittelte Gesellschaftsliederbuch, das den Liedtext enthält, erschien 1805 in Zürich ("Bacchus, Mars und Amorn oder den Schutzgöttern lustiger Brüder gewiedmet"). Erstmals mit Melodie mitgeteilt wurde "Guter Mond, du gehst so stille" 1838 in Ludwig Erks primär auf mündlich überliefertem Material beruhender Sammlung "Die deutschen Volkslieder mit ihren Singweisen" (Edition B). Erk merkte dabei an, das Lied sei "in ganz Deutschland bekannt".

II. Beim Lied "Guter Mond, du gehst so stille" handelt es sich um eine zu nächtlicher Stunde an den Mond adressierte Bitte eines liebeskranken Mannes, sich in das "Hüttchen" (Edition A) bzw. "Kämmerlein" (Edition B) seines heimlich angebeteten Mädchens zu "schleichen", um ihr mitzuteilen, dass "sie einzig und allein / mein Vergnügen, meine Freude, / meine Lust, mein Alles" sei. Weshalb der Mann ihr dies nicht selbst offen sagen kann, sondern damit den "guten", aber "verschwiegenen" Mond beauftragt, geht aus der letzten Strophe hervor: Er ist "schon gebunden" (d. h. verheiratet), womit ihm die "süßen Freiheitsstunden" genommen seien ( Abb. 1 u. Abb. 2). Offen muss bleiben, ob es sich bei dem Lied um ein Produkt der Empfindsamkeit handelt – verwiesen sei hier insbesondere auf die zweite Strophe, in der das lyrische Ich anhebt, dem Mond zu offenbaren, "warum meine Thränen fließen / und mein Herz so traurig ist" – oder ob der Verfasser den Ton dieser Stilepoche bloß augenzwinkernd parodierte. Unabhängig von dieser letztgenannten Möglichkeit fasste man "Guter Mond, du gehst so stille" in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als gefühlvolles, vielleicht etwas sentimentales Liebeslied auf. Anschaulich macht dies eine 1847 erschienene, scheinbar dem wahren Leben abgelauschte Kurzgeschichte, in der ein Drehorgelspieler von seiner Geschäftsstrategie einer zielgruppenorientierten Musikbeschallung berichtet. Die Melodie von "Guter Mond, du gehst so stille" habe er sich speziell "für junge Leute in die Welle einzahnen" lassen. Das Stück käme zum Einsatz, sobald sich "ein Pärchen Arm in Arm" nähere: "[D]a wird die Liebste zuerst aufmerksam und stößt den Liebhaber an, oder sieht ihm wie der Mondschein selber in die Augen, oder singt den Text leise dazu und dann gehen sie langsamer. Der Mann langt in die Tasche, wenn er etwas findet, schiebt er es der Liebsten in die Hand, und so kommt es in meine Mütze" (Fernand 1847).

III. Der Umstand, dass "Guter Mond, du gehst so stille" eine populäre Drehorgelweise war (und übrigens immer noch ist), dürfte mit erklären, weshalb in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts so viele neue, aktualitätsbezogene Liedtexte gerade zu dieser Melodie geschaffen wurden. In seiner Sammlung "Historische Volkslieder" (Berlin 1871/72) dokumentiert Franz Wilhelm Freiherr von Ditfurth allein sieben entsprechende, zwischen 1806 und 1815 entstandene Lieder, die Ereignisse der Napoleonischen Kriege thematisierten. Den Melodieverweis "Guter Mond, du gehst so stille" trägt auch eine zeittypische Moritat, die 1817 als Flugschrift erschien ("Grausame Mordgeschichte, welche zu Engelsberg in Ober-Schlesien geschehen, wie ein Vater zwey Kinder, sein hochschwangeres Weib, sammt der Schwiegermutter am 19ten April 1815 auf das schmerzhafteste umgebracht hat"; Edition C). Eine Umdichtung von "Guter Mond, du gehst so stille", die die gesellschaftlich erstarrten und politisch düsteren Verhältnisse des Vormärz aufs Korn nahm, legte Adolf Glaßbrenner 1845 unter dem Titel "Variationen zum Leierkasten" vor (Edition D). Auf die weithin bekannte Melodie griff auch Hoffmann von Fallersleben bei einem seiner zeitkritischen Lieder zurück ("Ausgelitten, ausgerungen / Hast du endlich, deutsches Herz"; Titel: "Zum octroyirenden 5. December 1848").

IV. In ein Andachtslied für Kinder arbeitete der Lehrer und Dichter Karl Enslin (1819–1875) "Guter Mond, du gehst so stille" um. Diese 1851 veröffentlichte Kontrafaktur (Edition E) ist ein beredtes Beispiel für die volkspädagogischen Bemühungen des 19. Jahrhunderts, populäre Lieder, die man als anrüchig oder minderwertig empfand, zu veredeln, indem man der geläufigen Melodie einen Text z.B. vaterländischen oder moralisch belehrenden Charakters zuwies. In diesem Sinne transformierte auch Karl Enslin "Guter Mond, du gehst so stille". Der Mond wird hier nun nicht mehr als Liebes-, sondern als "Gottesbote" angesprochen, als "Leuchte", die "Gott zu seinem Preise" an den Himmel gestellt habe. An diesen "treuen Menschenhüter" ergeht die abendliche Bitte, er möge mit seinem "Schimmer" über Nacht "Frieden" ins "bedrängte Herz" bringen.

V. Franz Magnus Böhme konnte in seinem 1895 erschienenen Werk "Die volksthümlichen Lieder der Deutschen" die populäre ursprüngliche Fassung von "Guter Mond, du gehst so stille" kaum übergehen. Der beigefügte Kommentar des Liedforschers aber zeigt, dass man seinerzeit auch von wissenschaftlicher Seite aus steuernd in die Singpraxis einzugreifen versuchte. Böhme lässt am Liebeslied "Guter Mond, du gehst so stille" kein gutes Haar: "Dieses Lied mit seinem überaus langweiligen Liebesjammer" sei ein Beleg dafür, "mit welcher unpoetischen Kost der Deutsche sonst [früher] sich zufrieden stellte." Wenn er es gleichwohl abdrucke, möge man ihm dies verzeihen, aber "singen wird's wohl niemand wieder!" Tatsächlich wurde die "Liebesjammer"-Version von "Guter Mond, du gehst so stille" anlässlich der breit angelegten Sammelaktionen von mündlich tradierten Volksliedern zu Beginn des 20. Jahrhunderts vielfach aufgezeichnet. Und sie ist in Liederbüchern der Jugendbewegung (Edition F) ebenso zu finden wie in solchen noch der 1990er Jahre. Parallel zu dem Lied in seiner ursprünglichen Form etablierte sich allerdings die Kontrafaktur Enslins. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunächst als Schullied verbreitet, erfuhr sie bis in die Gegenwart als Abend- und Kinderlied eine starke Rezeption (Edition I). Das mithin doppelt populäre "Mond"-Lied wurde auch im 20. Jahrhundert verschiedentlich parodiert, wie etwa ein 1933 erschienenes Beispiel aus der Satirezeitschrift "Kladderadatsch" zeigt, in dem der anonyme Verfasser sich über die Erkenntnisse eines damaligen Mondforschers lustig macht (Edition H). Eine politische Parodie von "Guter Mond, du gehst so stille" ist der gereimte Zeitkommentar "An den deutschen Mond", den Kurt Tucholsky unter dem Eindruck des sog. Kapp-Putsches Mitte März 1920 schrieb (Edition G). Vertont wurde das Gedicht u. a. von Hanns Eisler, der sich dabei stark an die volkstümliche Liedweise anlehnte.

TOBIAS WIDMAIER
Quellenrecherche: JOHANNA ZIEMANN
(September 2010)



Editionen und Referenzwerke
Weiterführende Literatur
  • Fernand: Diogenes mit der Drehorgel. Aus meinem Tagebuche. In: Der Salon. Mittheilungen aus den Kreisen der Literatur, Kunst und des Lebens […] hrsg. von Sigm. Engländer, 2. Teil. Wien 1847, S. 106–112 (Zitat S. 109).


Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: zahlreiche Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: sehr häufig auf Flugschriften, überaus häufig in Gebrauchsliederbüchern, etliche sonstige Rezeptionsbelege
  • Bild-Quellen: öfters auf Liedpostkarten
  • Tondokumente: sehr viele Tonträger (überwiegend Abendlied)
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Tobias Widmaier: Guter Mond, du gehst so stille (2010). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/guter_mond_du_gehst_so_stille/>.


© Deutsches Volksliedarchiv
last modified 16.10.2012 11:27
 

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