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Es wolt ein Meyer meyen


"Es wolt ein Meyer meyen" ist ein erotisches Lied aus dem 16. Jahrhundert, das die Begegnung eines Mähers und einer jungen Frau beschreibt. Sein Reiz liegt in den eindeutig zweideutigen Textmetaphern. Im Zuge des deutschen Folkrevivals der 1970er Jahre wurde das Lied reanimiert und war in der Neuvertonung des Duos "Zupfgeigenhansel" recht verbreitet.

I. Die frühesten Quellen zu diesem Lied stammen aus dem 16. Jahrhundert. Erstmals erscheint es um 1560 in einer Liedflugschrift (Edition A). Die Popularisierung durch Flugschriften ist zudem für die Jahre um 1600 belegt (Edition B). Damals wurde das Lied auch bei der Obrigkeit aktenkundig (Edition C). Auf eine gewisse Beliebtheit lässt außerdem eine private Liederhandschrift aus dieser Zeit schließen, in der auch eine Stimme des einst vierstimmigen Liedsatzes überliefert ist (Edition D).

II. Der Liedtext entwirft ein Bild vom sexuell potenten Mann, der zur vollsten Zufriedenheit der Frau die Topographie des weiblichen Körpers zu bearbeiten weiß. Aus der Beschreibung dieser Landschaft, mit ihren Hügeln, einer gut bewässerten Wiese und den Blümelein, sowie der Tätigkeit des Mähers, der seine Sense wetzt, bezieht der Liedtext seinen erotischen Witz. Dabei fällt auf, dass sich die Textfassungen im Laufe des 16. Jahrhunderts verändern: Mitte des 16. Jahrhunderts ist es noch der Mann, den der Liedtext sprechen lässt (Edition A). Er ist es, der die Initiative ergreift ("ich wolt dich legen schon"), der die Wiese (ein "stoltzes mettelin") beschreibt ("es ligt in einer tieffen / un ist gewessert schon") und für den es kein Aufhören mehr gibt ("es ist jetz kein abelon") bis der Akt vollzogen ist ("die matt ist worden naß / mein stein ist mir verscholtzen"). In den Liedfassungen Ende des 16. Jahrhunderts (Edition B und Edition C) ist es jedoch die Frau, die den Mann offensiv zum Sex auffordert ("ich schlaff nicht gern allein") und die ihren reizvollen Körper selbst beschreibt. Nachdem sie sich davon überzeugt hat, dass "der Meher wol mehen kendt", gibt sie ihm einen Goldring und bittet: "du solt mir mein Wißlein abmehen / den gantzen Sommer lang" – in der frühen Fassung hatte der Mäher lediglich eine Flasche Wein zur Belohnung erhalten.

III. Ebenso lassen sich regional unterschiedliche Zuordnungen skizzieren: Die Flugschrift mit der frühesten Fassung wurde um 1560 in Straßburg gedruckt, die späteren Quellen stammen dagegen aus dem ostdeutschen Raum. Hier erscheinen in den Liedtexten Ortsangaben wie Leipzig (Edition B) oder Cottbus (Edition C), und auch die Fundorte der Quellen – Königsberg (Edition C) und Zwickau (Edition D) – deuten in diese Richtung. Auch formale Unterschiede fallen ins Auge: Hat der frühe, süddeutsche Druck noch sieben Strophen (mit jeweils acht Versen), so sind es in den späteren Quellen nur sechs Strophen (zu sechs Versen). Die musikalische Gestaltung des Liedes war ebenfalls verschieden: um 1560 erscheint es als Kontrafaktur, die auf die Weise von "Die Brünnlein die da fließen" gesungen wurde; später finden sich Hinweise, dass es sowohl als Lautenlied wie auch als vierstimmiges Gesangsstück praktiziert wurde (Edition D). Näheres zur Liedrezeption ist nicht überliefert, aber auch im 17. Jahrhundert scheint das Lied noch verbreitet gewesen zu sein: zumindest findet es sich nochmals in einem um 1700 erschienenen "Berg-Lieder-Büchlein", dort jedoch in einer auf vier Strophen verkürzten Fassung (Edition E).

IV. Im 18. Jahrhundert bricht die Überlieferung des Liedes für lange Zeit ab. Im 19. und 20. Jahrhundert wird es gelegentlich von historisch orientierten Liedforschern mit spitzer Zunge als sogenanntes "Schamperlied" erwähnt, aber aus dem Repertoire der einschlägigen "Volkslied"-Sammlungen bewusst ausgeblendet – etwa von Franz Magnus Böhme (Altdeutsches Liederbuch. Volkslieder der Deutschen nach Wort und Weise aus dem 12. bis zum 17. Jahrhundert. Leipzig 1877) oder Arthur Kopp (Ältere Liedersammlungen. Leipzig 1906). Erst Emil Karl Blümml wagte sich mit seiner Edition der "Schamperlieder" (Wien 1908) an dieses Repertoire. Dieser "Beitrag zur volkskundlichen Erotik" erschien damals als Privatdruck "nur für Gelehrte" in begrenzter Auflage. In den 1920er Jahren, als ein modern orientierter Zeitgeist Enttabuisierungen auch auf sexuellem Terrain vorantrieb, taucht das Lied erneut in einer Sammlung auf, die dezidiert "Das schamlose Volkslied" (Berlin 1925) exponierte (Edition F).

V. Breitere Rezeption fand das Lied erst wieder im Zuge der deutschen Folkbewegung, als ein neues "Volkslied"-Verständnis nicht nur auf sozialkritische und politisch oppositionelle Lieder abhob, sondern – im Gefolge der "sexuellen Befreiung" nach 1968 – ebenso erotische Lieder ins neue Repertoire der zuvor unterdrückten "Volkslieder" integrierte. In einer Neuvertonung durch das damals ziemlich beliebte Duo "Zupfgeigenhansel" (Edition G) wurde "Es wolt ein Meyer meyen" wiederbelebt und mit großem Vergnügen verbreitet: in Konzerten ebenso wie durch Schallplatten und das auflagenstarke Liederbuch "Es wollt ein Bauer früh aufstehn..." (Dortmund 1978). In dieser Fassung kursiert das Lied bis heute. Dabei stützt man sich – wie schon die Textversion von 1925 – auf die kurze Fassung aus dem "Berg-Lieder-Büchlein" (um 1700). Dementsprechend wird das Lied in der neueren Rezeption auch als vermeintliches "Volkslied aus dem 17. Jahrhundert" angesehen, die Frühgeschichte des Liedes blieb jedoch bislang unbekannt.

ECKHARD JOHN
(Juni 2008)



Weiterführende Literatur
  • Gaby Herchert: "Acker mir mein bestes Feld". Untersuchungen zu erotischen Liederbuchliedern des späten Mittelalters. Mit Wörterbuch und Textsammlung. Münster [u. a.]: Waxmann 1996 (Internationale Hochschulschriften 201) [das Lied vom "Meder" bzw. "Meyer" ist in dieser Arbeit jedoch nicht berücksichtigt].


Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: selten in Liedhandschriften (nur 16. Jahrhundert), keine Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: selten in Liedflugschriften (nur 16. Jahrhundert), sehr selten in Gebrauchsliederbüchern, wenig sonstige Rezeptionsbelege
  • Bild-Quellen: —
  • Tondokumente: selten auf Tonträgern
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.

Die Kenntnis der frühen Liedflugschriften (Edition A und B) verdankt sich dem Hinweis von Dr. Eberhard Nehlsen (Oldenburg), dem dafür ganz herzlich gedankt sei.



Zitiervorschlag
Eckhard John: Es wolt ein Meyer meyen (2008). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/es_wolt_ein_meyer_meyen/>.


© Deutsches Volksliedarchiv
last modified 12.09.2012 11:52
 

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