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Es wollt ein Schneider wandern am Montag in der Fruh


Das erstmals Mitte des 18. Jahrhunderts belegte Schwanklied "Es wollt ein Schneider wandern am Montag in der Fruh" gehörte zu den beliebten Gesangs-"Schnurren" der Jugendbewegung und ist auch nach dem Zweiten Weltkrieg verschiedentlich noch in Liederbüchern vertreten. Von den fünf nachweisbaren Liedmelodien sind zwei im 20. Jahrhundert weiter tradiert worden.

I. Der bislang früheste Beleg für das Lied "Es wollt ein Schneider wandern" findet sich in der um 1750 entstandenen so genannten "Ebermannstädter Liederhandschrift", die Frantz Melchior Freytag, seinerzeit Schulrektor in dem kleinen bei Bamberg gelegenen Ort, für den persönlichen Gebrauch anfertigte (Edition A). Während die Herkunft einer Reihe der "spasshaffte[n], doch Ehrbare[n]" Lieder, die Freytag hier mit ihren jeweiligen Melodien "zusamm geschrieben" hat, klar ist – z. T. entstammen sie der damals populären Sammlung "Singende Muse an der Pleisse" (Leipzig 1736) –, lässt sich dies im Fall von "Es wollt ein Schneider wandern" nicht mehr ermitteln. Möglicherweise kannte Freytag es aus der mündlichen Singpraxis seiner fränkischen Heimat. Urheber und Alter des Liedes sind unbekannt. Eine wenig später in einer anderen Region erfolgte Niederschrift des Liedes (vgl. III.) ist ein Indiz, dass es im 18. Jahrhundert bereits breitere Bekanntheit hatte.

II. Das Schwanklied erzählt von einem Schneidergesellen, der in die Hölle geholt wird, um den Teufeln Kleidung anzufertigen. Er entkommt dieser misslichen Lage wieder, indem er die mitgeführten Berufsutensilien auf eine Weise verwendet, die seinen Hinauswurf provoziert: Mit der Elle schlägt er den Teufeln "die bukel voll", sticht ihnen mit dem "pfriem" in die Köpfe ("halt still! ich bin nicht böss, so setzt mann ein die Knöpff") oder "zwikt" ihnen mit der Schere die Schwänze ab. Dem Treiben setzt Luzifer schließlich ein Ende, der Schneidergeselle wird aus der Hölle gejagt und kann am Ende froh kundtun: "Nun ist mir ewig wohl, / Jetzt bin ich aus der höll, und bleib ein scheidersgsell" (Edition A). Die Textgestalt des Liedes ist in seiner über zwei Jahrhunderte währenden Rezeptionsgeschichte im Wesentlichen unverändert geblieben, Modifikationen lassen sich allenfalls in einzelnen Versen und Formulierungen ausmachen. Bemerkenswert ist, dass sich eine Derbheit des 18. Jahrhunderts in der Folge nicht mehr findet: Wurde dort noch davon gesungen, dass die Teufel nicht mehr "farzen" könnten, weil ihnen die "Löcher" zugeflickt worden seien (Edition B), so heißt es in der entsprechenden Strophe seit der romantischen Volksliedsammlung "Des Knaben Wunderhorn" (Bd. 2, 1808), der Schneidersgeselle habe den Teufeln die "Naslöcher" zugenäht, weshalb sie "nimmer riechen" (bzw. schnaufen) könnten. Anders als im vorliegenden Fall wurde der Handwerksstand der Schneider im Medium Lied vielfach verspottet (Monika Hasse 1973); ein entsprechendes Beispiel ist das wortgleich beginnende Lied "Es wollt ein Schneider wandern wol auf sein Schneidergeis" (Erk/Böhme Nr. 1632).

III. "Es wollt ein Schneider wandern" ist auch in einer Liederhandschrift des Weingartner Benediktiners Johannes (Ordensname "Meingosus") Gaelle (1758–1816) enthalten, die dieser 1777, am Ende seines Theologiestudiums in Salzburg, anlegte. Die darin zusammengestellten "Ernst Und Schertz Hafften" Lieder hatte der musikkundige Gaelle "auff die Harpfen Eingericht vndt Mäistens mit Neuen arien versehen", wie auf dem Titelblatt der Liederhandschrift vermerkt ist. Die präsentierte Vertonung von "Es wollt ein Schneider wandern" dürfte demnach von Gaelle selbst stammen (Edition B). Die Handschrift wurde 1911 durch Emil Karl Blümml ediert, der die Lieder allerdings ohne Begleitsatz wiedergab. Das einflussreichste Liederbuch der Jugendbewegung, der "Zupfgeigenhansl", nahm "Es wollt ein Schneider wandern" mit der von Blümml mitgeteilten Melodie – aber ohne Nennung Gaelles – unmittelbar auf (Edition E), von dort fand es als vermeintlich anonymes "Volkslied" des 18. Jahrhunderts weitere Verbreitung.

IV. Zum ersten Mal im Druck veröffentlicht wurde der Text von "Es wollt ein Schneider wandern" in "Des Knaben Wunderhorn" (1808). Die Überschrift des Liedes "Rinaldo Rinaldini" greift den Titel eines 1798 erschienenen, seinerzeit populären Räuberromans von Christian August Vulpius auf, womit die Taten des Schneiders möglicherweise ins Ironische gewendet werden sollten. Durch einen Fehler des Setzers kam es im "Wunderhorn" zu einem Sinn zerstörenden Wegfall zweier Halbstrophen am Beginn des Liedes, das in dieser Form z. T. jedoch weiter tradiert wurde: So fußt "Es wollt ein Schneider wandern" in August Wilhelm von Zuccalmaglios "Deutschen Volksliedern" (1840) auf der fehlerhaften Textfassung des "Wunderhorn". Zuccalmaglios Hinweis, das Lied stamme "Aus Friesland", entlarvt sich damit als eine seiner zahlreichen editorischen Fiktionen (Edition C). Ob die zu dem Lied mitgeteilte "Original-Weise" aus mündlicher Überlieferung stammt, ist vor diesem Hintergrund eher zu bezweifeln. Sie wurde in den "Deutschen Liederhort" (Erk/Böhme 1894) aufgenommen, spielte rezeptionsgeschichtlich aber keine weitere Rolle. Nur singulär belegt ist eine weitere, von Franz Wilhelm von Ditfurth aufgezeichnete Melodie zu "Es wollt ein Schneider wandern", die er in seinen "Fränkischen Volksliedern" (1855) mitteilte. Eine Vertonung des "Wunderhorn"-Textes legte der Komponist Arnold Mendelssohn vor: Seine "humoristische Ballade" für Tenorsolo, vierstimmigen Männerchor und Orchester "Der Schneider in der Hölle" erschien 1901 im Klavierauszug.

V. Im 20. Jahrhundert wurde "Es wollt ein Schneider wandern" zum einen mit der von P. Meingosus Gaelle komponierten und vom "Zupfgeigenhansl" übernommenen Weise tradiert (vgl. III.), zum anderen mit einer Melodie, die erstmals 1863 in Georg Scherers "Die schönsten Deutschen Volkslieder mit ihren eigenthümlichen Singweisen" enthalten ist und die ihm, laut Angabe, von Gewährsleuten aus Stuttgart übermittelt wurde (Edition D). Diese Liedfassung ist – neben der Zuccalmaglios (vgl. IV.) – in den "Deutschen Liederhort" (Erk/Böhme 1894) eingegangen und im Anschluss in einer Reihe von Gebrauchsliederbüchern aufgegriffen worden, etwa 1956 in "Unser fröhlicher Gesell" (Edition F). Anregend wirkte das Sujet des Liedes auch auf einige Illustratoren (z. B. Abb. 1). Eine Parodie auf "Es wollt ein Schneider wandern" mit der letzterwähnten Melodie schrieb der im Kampf gegen das im südbadischen Wyhl geplante Atomkraftwerk engagierte Liedermacher Buki (Roland Burkhart) Mitte 1976 ("Unser Apotheker in der Höll"). Darin malt er sich die Taten des damaligen Kaiserstühler Landtagsabgeordneten, eines Apothekers, in der Stuttgarter "Hölle" aus, wo als Teufel ein gleichnamiger CDU-Politiker als Umweltstaatssekretär agierte: der spätere Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Erwin Teufel. (Edition G).

TOBIAS WIDMAIER
Quellenrecherche: JOHANNA ZIEMANN
(November 2008)



Editionen und Referenzwerke
Weiterführende Literatur
  • Monika Hasse: Das Schneiderlied. In: Handbuch des deutschen Volkslieds. Hrsg. von Rolf Wilhelm Brednich, Lutz Röhrich, Wolfgang Suppan. Bd. 1. München 1973, S. 801–832.


Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: etliche Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: vereinzelt auf Flugschriften, sehr häufig in Gebrauchsliederbüchern
  • Bild-Quellen: verschiedentlich in Gebrauchsliederbüchern
  • Tondokumente: etliche Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Tobias Widmaier: Es wollt ein Schneider wandern am Montag in der Fruh (2008). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/es_wollt_ein_schneider_wandern_am_montag_in_der_fruh/>.


© Deutsches Volksliedarchiv
last modified 29.09.2016 10:29
 

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