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Es saß ein schneeweiß Vögelein


"Es saß ein schneeweiß Vögelein" ist ein ursprünglich flämisches Lied, das erstmals Mitte des 19. Jahrhundert belegt ist. Die Melodie war nachweislich schon im frühen 18. Jahrhundert bekannt. In deutscher Übersetzung nahm Johannes Brahms es in seine 1894 veröffentlichen Volksliedbearbeitungen WoO 33 auf. Ab dem frühen 20. Jahrhundert fand "Es saß ein schneeweiß Vögelein" in Gebrauchsliederbüchern Aufnahme, insgesamt gesehen freilich nur selten.

I. Das deutsche Lied "Es saß ein schneeweiß Vögelein" ist eine Übersetzung des flämischen Liedes "Daer was een sneeuwwit vogeltje", das erstmals in J. F. Willems' Sammlung "Oude Vlaemsche Liederen" (Gent 1848) belegt ist (Edition A). Eine variante Fassung des ursprünglichen Liedes teilt E. de Coussemaker in "Chants populaires des Flamands de France" (Gent 1856, Nr. 48) mit. Der Frage nach Herkunft und Überlieferungsgeschichte von "Daer was een sneeuwwit vogeltje" ist der holländische Volksliedforscher Florimond van Duyse nachgegangen (Duyse 1903); die Melodie ist bereits in der Sammlung "Oude en Nieuwe Hollantse Boeren Lietjes en Contredansen" (Amsterdam 1714, Nr. 739) enthalten, dort allerdings mit der Textmarke "Het eerste jaar een dogtertie" versehen.

II. In deutscher Übersetzung erschien das Lied zuerst 1894 im "Deutschen Liederhort", einer dreibändigen wissenschaftlichen Referenzsammlung deutscher Volkslieder. Der Herausgeber Franz Magnus Böhme stellte dem flämischen Lied in der von Coussemaker 1856 mitgeteilten Fassung hier einen deutschen Text zur Seite (Erk/Böhme 1894, Nr. 412c). Zum Übersetzer finden sich keinerlei Angaben; möglicherweise stammt die deutsche Adaption des Liedes von Böhme selbst. Aus dem "Liederhort" geht "Es saß ein schneeweiß Vögelein" ins Singrepertoire der Wandervogel-Bewegung über (Edition C). 1894 erschien "Es saß ein schneeweiß Vögelein" bemerkenswerterweise noch in einer zweiten Übersetzung, nämlich im Rahmen der Volksliedbearbeitungen WoO 33 von Johannes Brahms (Edition B), deren Veröffentlichung "durch Ärger über den […] Liederhort von Böhme" motiviert war, wie der Komponist seinem Verleger Simrock seinerzeit schrieb (und Philipp Spitta gegenüber giftete er zeitgleich gegen "diese ganze Sorte Pächter des Volksliedes"). Grundlage der Bearbeitung von "Es saß ein schneeweiß Vögelein" (WoO 33, Nr. 45) war ein vermutlich von August Wilhelm von Zuccalmaglio (1803–1869) oder Friedrich Wilhelm Arnold (1810–1864) stammendes Manuskript mit Melodie und frei übersetztem Text des Liedes nach den "Oude Vlaemsche Liederen" von Willems (s. Friedlaender 1922; McCorkle 1984).

III. Im Lied "Es saß ein schneeweiß Vögelein" bittet ein Mann einen Vogel, seiner Geliebten einen Brief zu überbringen. Der Vogel fliegt zu ihr und fragt sie, wie es ihr gehe. Die Antwort der Frau lässt darauf schließen, dass sie unfreiwillig mit einem anderen Mann verheiratet ist und darunter leidet. Der Vogel als Überbringer von Liebesbotschaften ist ein seit der Antike bekannter Topos und ein durchaus häufiges Liedmotiv (z. B. Kommt ein Vogel geflogen). Das im Text genannte weiße Gefieder des Vogels lässt vermuten, dass es sich um eine Taube handelt (Böhmes Zuordnung unter die Lieder "Nachtigall als Botin" ist insofern nicht nachvollziehbar; s. Erk/Böhme 1894, Nr. 412–414). – Die sechs bzw. sieben Strophen des Liedes bestehen aus je zwei Versen, die wiederholt werden. In den Fassungen von Willems (Edition A) und Coussemaker wird der zweite Vers jeder Strophe mit einem refrainartigen "din don daine (bzw. deyne)" abgeschlossen, die Wiederholung mit "din don don"; das gleiche gilt für die deutsche Fassung im "Liederhort". In der Übersetzung, auf die Johannes Brahms zurückgreift, sind diese Lautsilben durch die Worte "in der Lenzeszeit" sowie "auf grün Haid'" ersetzt (Edition B).

IV. Die Rezeption des Liedes "Es saß ein schneeweiß Vögelein" verläuft im 20. Jahrhundert in zwei unterschiedlichen Traditionslinien. Im Bereich der Chormusik bildete die von Brahms verwendete deutsche Textfassung den Bezugspunkt, so etwa in dem 1906 auf Veranlassung Kaiser Wilhelms II. herausgegebenen "Volksliederbuch für Männerchor" (Nr. 478, Satz von Friedrich Gernsheim) oder im 1930 erschienenen "Volksliederbuch für die Jugend" (Nr. 54, Satz von Georg Schumann). Dagegen griff die Wandervogelbewegung die Version von "Es saß ein schneeweiß Vögelein" aus dem "Deutschen Liederhort" auf. Erstmals wurde das Lied offenbar im "Jugenheimer Liedblatt" (1911) abgedruckt (Edition C). Im Zug der weiteren Liedüberlieferung kam es zu einer Reduzierung von sieben auf fünf Strophen (Edition D). Breite Popularität hat "Es saß ein schneeweiß Vögelein" nicht erlangt, seit den 1960er Jahren ist es in Gebrauchsliederbüchern kaum mehr zu finden.

FRAUKE SCHMITZ-GROPENGIESSER
(August 2012)



Editionen und Referenzwerke
  • Margit T. McCorkle: Johannes Brahms. Thematisch-bibliographisches Werkverzeichnis. München 1984, S. 593.
  • Duyse 1903, Bd. 1, S. 754–761 (Nr. 210).
  • Erk/Böhme 1894, Bd. 2, S. 227f. (Nr. 412c).


Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: —
  • Gedruckte Quellen: verschiedentlich in Gebrauchsliederbüchern
  • Bild-Quellen: —
  • Tondokumente: selten auf Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Frauke Schmitz-Gropengiesser: Es saß ein schneeweiß Vögelein (2012). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/es_sass_ein_schneeweiss_voegelein/>.


© Deutsches Volksliedarchiv

last modified 22.08.2013 08:10
 

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