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Es ist ein Schnitter, heißt der Tod


Das "Schnitterlied" hebt die Vergänglichkeit des Menschen und die christliche Hoffnung auf Auferstehung hervor. Dazu werden zwei Motive herangezogen: Zum einen spielt der Schnitter als Personifikation des Todes eine herausragende Rolle, dann die Blumen als Allegorie für die menschliche Hinfälligkeit. Entstanden ist das Lied im frühen 17. Jahrhundert im katholischen Milieu. Es hat sich ausgehend von der Sammlung "Des Knaben Wunderhorn" im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts losgelöst von konfessionellen Bindungen erneut verbreitet.

I. Die beiden frühesten Drucke des Liedes sind auf das Jahr 1638 datiert. Offensichtlich hat die nicht genannte Offizin (vermutlich Nikolaus Heinrich in München) den Gesang auf zwei Flugschriften erscheinen lassen: in einer Separatausgabe (Edition A) und in einem Druck, der noch ein zweites Lied enthält. Ungewöhnlich ist, dass beide Drucke die Melodie mit dem dazugehörigen Generalbass wiedergeben. Vermutlich handelt es sich bei den beiden Publikationen um den Erstdruck des Liedes, der als "Ein schönes Mayenlied / Wie der Menschenschnitter der Todt die Blumen ohne vnderschied gehling abmehet" angekündigt wird. Der einzige überlieferte Separatdruck enthält den handschriftlichen Vermerk: "Schnitterlied gesungen zue Regenspurg da ein hoch adeliche iunge Bluemen ohnversehen abgebrochen worden im Jenner 1637 gedrucket im iahr 1637." Der hier genannte Druck aus dem Jahr 1637 ist allerdings heute nicht mehr nachweisbar.

II. Das bereits im 17. Jahrhundert so genannte "Schnitterlied" beschreibt in vielen Strophen, wie der Tod mit seiner Sense die Blumen abmäht. Keine Blume kann sich seinem Schnitt entziehen, weder die einfachen, noch die vornehmeren Sorten wie Kaiserkrone, Lilie oder die in der Frühen Neuzeit hochgeschätzte Tulpe. Die breit entfaltete Allegorese wird erst in der letzten Strophe verlassen. Hier spricht zum erstenmal ein "Ich", das dem Schnitter antwortet. Es bringt seine Furchtlosigkeit zum Ausdruck, weil der Sprecher nach dem Tod die Versetzung in den "himmlischen Garten" (also das Paradies) erwartet. – Motivgeschichtlich geht die Pflanzen- und Blumensymbolik auf die Heilige Schrift zurück. Beim Propheten Jesaja heißt es beispielsweise: "Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. Das Gras verdorret, die Blume verwelket; denn des Herrn Geist bläset drein. Ja, das Volk ist das Heu" (40,6f.). Allerdings ist der blühende Garten auch ein Hinweis auf das Paradies (vgl. Gen 2). Durch die Kirchenväterliteratur und die mittelalterliche Allegorese war diese Symbolik noch in der Neuzeit geläufig.

III. Die Blumensemantik war im Umfeld des Todes keineswegs unüblich – gerade bei jung verstorbenen Frauen –, wie die Fülle der erhaltenen Leichenpredigten evangelischer Provenienz dokumentiert. So erschien 1637, also zeitnah zu den beiden Drucken, in Altdorf eine lutherische Predigt mit dem Titel "Homo flos. Das ist: Der Mensch ist wie eine Blume auff dem Felde. Er stirbet / verwelcket und wird wieder Aufferstehen". Der zitierte Predigttitel gibt zugleich die Aussageintention des "Schnitterliedes" wieder und bezeugt damit, wie eng in der Frühen Neuzeit Predigt und Lied – auch konfessionsübergreifend – zusammenhängen.

IV. Die frühe Überlieferung zeigt, dass das Lied im süddeutschen Sprachgebiet beheimatet ist. Die beiden frühesten Drucke stammen aus München (vgl. Edition A); es folgen Flugschriften aus Freiburg/Schweiz 1639, Konstanz 1640, Innsbruck 1640, Augsburg um 1660, Solothurn 1667 und Zug 1683. In einigen Drucken (etwa Innsbruck 1640) ist das Lied verändert und auf achtzig (!) Strophen erweitert wiedergegeben. Die Überlieferung in Kirchengesangbüchern ist hingegen nur schmal: 1683 wurde das Lied in das Mainzer "Allgemeine Gesang-Buch" aufgenommen, die Blumenallegorie mit einer Ständerevue vermischend (Edition B). Offenbar entstand eine Lokaltradition, wie weitere Gesangbuchdrucke aus Mainz (1697, 1705, 1712 u. ö.) belegen. Eine andere Fassung findet sich in dem von Jesuiten herausgegebenen "Geistlichen Psälterlein" (Köln 1718ff.). Eine frühe Parodie stammt noch aus dem 17. Jahrhundert: Der Anfang des 42strophigen Liedes beginnt mit: "Es ist ein Schütz / der heist der Todt / hat Gwalt vom grossen Gott / Jetzt spannt er den Bogen". Belege, die auf eine Verbreitung des Schnitterliedes im protestantischen Kulturraum hindeuten, sind nicht bekannt.

V. Aus theologischen und ästhetischen Gründen reißt die Rezeption des Liedes schon im 18. Jahrhundert ab: Das Todesbild war im Spätbarock und der Aufklärung einem Wandel unterworfen, statt Konkretion und Drastik wurde zunehmend Abstraktion und Dezenz gefordert. Erst die "Wunderhorn"-Herausgeber haben das Lied wiederentdeckt und 1806 als "Katholisches Kirchenlied" (in einer sechsstrophigen Fassung) abgedruckt (Edition C). Andere Publikationen folgten, etwa die Sammlung "Deutsche Volkslieder" von August Kretzschmer (Berlin 1840) oder Gottfried Wilhelm Finks "Musikalischer Hausschatz" (Leipzig 1843). Dort ist das Lied mit einer Melodie von Louise Reichardt (1779–1826) wiedergegeben, die im 19. Jahrhundert weit verbreitet war (Edition D). Das Lied hat auch in der Kunstmusik Beachtung gefunden: Entsprechende Vertonungen für Chor haben Robert Schumann (op. 75, 1849), Johannes Brahms (WoO 34, 1864) und Max Reger (WoO, 1899) vorgelegt. Felix Mendelssohn Bartholdy ("Erntelied" op. 8, 1828) und Brahms (WoO 32, 1858) haben darüber hinaus Kompositionen für Singstimme und Klavier geschaffen. Das Lied wurde verschiedentlich auch illustriert: Die beiden Beispiele zeigen einen Flugblattdruck aus dem 17. Jahrhundert (Abb. 1) und eine Liedillustration aus dem Jahr 1847 (Abb. 2).

VI. Die moderne Überlieferung in Gebrauchsliederbüchern weist überraschende Befunde auf: So wurde das Schnitterlied im 19. Jahrhundert zwar immer wieder gedruckt, aber der Rezeptionsschwerpunkt liegt eindeutig im 20. Jahrhundert. Ausschlaggebend war die Wiedergabe im "Zupfgeigenhansl": Der Text ist dort auf vier Strophen reduziert; die Melodie folgt den Drucken aus dem Jahr 1638 (Edition E). Besonders dicht ist die Abdruckhäufigkeit in Gebrauchsliederbüchern zwischen 1925 und 1930 sowie in den 1950er Jahren. Möglicherweise ist hierfür die Nachkriegssituation ausschlaggebend: Der Text lässt – scheinbar – die anonyme Macht des Schicksals walten. Allerdings trifft das kaum den ursprünglichen Sinn des Liedes: Dieser bezieht sich nämlich auf die Unausweichlichkeit des Todes, der funktional als Werkzeug Gottes gedeutet wird und die "Blume" in den Himmelsgarten versetzt.

VII. Im 20. Jahrhundert sind auch Instrumentalbearbeitungen des Liedes entstanden. Hier ist vor allem die Partita von Johann Nepomuk David aus dem Jahr 1947 zu nennen, die dieser in sein groß angelegtes "Choralwerk für Orgel" integriert hat, ebenso das "Thema mit zwölf Variationen für Flöte solo" von Hugo Distler, das der Komposition "Totentanz" (aus: Geistliche Chormusik, 1934–1941) angehört. An aktuellen Aneignungen fehlt es ebenfalls nicht: Zurzeit sind auf dem Schallplattenmarkt Arrangements und Interpretationen des Schauspielers Rolf Ludwig (2001), der Folkband "Malefizz" (2004) oder aber der Jazzband "Tritorn" (2007) erhältlich.

MICHAEL FISCHER
(Juni 2008)



Literatur
  • Helmut Husenbeth: "Es ist ein Schnitter / heißt: der Tod". Sterben, Tod und Auferstehung im geistlichen Lied des 17. Jahrhunderts. Trier 2007, bes. S. 129–154.
  • Hermann Kurzke: Es ist ein Schnitter heißt der Tod. In: Geistliches Wunderhorn. Große deutsche Kirchenlieder. Hrsg., vorgestellt und erläutert von Hansjakob Becker u.a. München 2001, S. 224–230.
  • Berndt Tilp: Das Volkslied "Es ist ein Schnitter, der heißt Tod" bei Clemens Brentano, Georg Büchner, Joseph von Eichendorff und Alfred Döblin. In: Literatur in Bayern, H. 49 (1997), S. 12–29.

Editionen und Referenzwerke
Weiterführende Literatur
  • Hellmut Rosenfeld: Der mittelalterliche Totentanz. Köln 1968, S.10–14 (zum "Schnitter"-Motiv).


Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: kaum Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: verschiedentlich auf Flugschriften, sehr häufig in Gebrauchsliederbüchern, sehr selten in Kirchengesangbüchern
  • Bild-Quellen: vereinzelt
  • Tondokumente: häufig auf Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Darüber hinaus wurden auch die Bestände des Gesangbucharchivs Mainz sowie (hinsichtlich der Tonträger) des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Michael Fischer: Es ist ein Schnitter, heißt der Tod (2008). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/es_ist_ein_schnitter_heisst_der_tod/>.


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last modified 29.09.2016 10:18
 

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