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Liederlexikon

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Es geht alles vorüber

(Auf Posten in einsamer Nacht)

Dieses Lied des Operettenkomponisten Fred Raymond (1900–1954) stammt aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs und wurde einer der erfolgreichsten "Durchhalteschlager" nach 1942. In geradezu idealer Weise erfüllte er das stabilisierende Kalkül einer Verbindung von Front und "Heimatfront" im Sinne des nazistischen Unterhaltungsbetriebes und wurde in etliche europäische Sprachen übersetzt. Doch schon zu Zeiten der NS-Herrschaft provozierte dieser vermeintlich unpolitische Schlager verschiedene Parodien, die auch gegen das Führungspersonal des "Dritten Reiches" gerichtet waren. Seine janusköpfige Funktion begleitet das Lied als prägnanten Erinnerungsträger an die Zeit des Zweiten Weltkrieges bis heute.

I. Fred Raymond schrieb das "Walzerlied" im Frühjahr 1942 bei einer Propagandakompanie der Wehrmacht. Den Text steuerten seine bewährten Librettisten Max Wallner (1891–1951) und Kurt Feltz (1910–1982) bei. Er greift ein zentrales Thema der im Krieg stehenden Soldaten auf: die Sehnsucht des "Landsers" nach der Heimat, personifiziert in seiner Frau. Als Trost- und Hoffnungsspender holte das Lied die Menschen bei ganz elementaren Gefühlen und Befindlichkeiten ab. Es wurde über den "Soldatensender Belgrad" wirkungsvoll popularisiert und rasch zu einem der prominentesten Weltkriegsschlager (Edition A).

II. "Es geht alles vorüber" ist – ähnlich wie "Lili Marleen" – noch in den Kriegsjahren in zahlreiche Sprachen übersetzt worden. Aber im Unterschied zu "Lili Marleen" beschränkte sich dies bei Raymonds Lied auf Länder, die mit dem nazistischen Deutschland verbündet oder von ihm besetzt waren. Besonders viele Interpretinnen fand die italienische Fassung "Tutto passa e si scorda" (Edition B), aber auch in Dänemark ("Alting faar jo en Ende"), Holland ("Het gaat alles voorbij") oder Kroatien (Edition C) erschienen Schallplatten und Notendrucke. Weitere Übersetzungen gibt es in Flämisch, Schwedisch, Französisch und Tschechisch.

III. Eine besondere Rolle kam der englischen Umdichtung "Roll On The Blue Funnel” (1943) zu. Hier fungierte das Lied nicht mehr als Medium der stabilisierenden Truppenbetreuung, sondern wurde gezielt als Instrument im Ätherkrieg eingesetzt: Gesungen von Lale Andersen (1943) sollte es im Dienste der nazistischen Auslandspropaganda "wehrkraftzersetzend" auf die alliierten Truppen einwirken (Edition D).

IV. Gleichzeitig provozierte der Schlager schon in den Kriegsjahren zahlreiche NS-kritische Parodien, die in der Regel an den Refrainbeginn anknüpften ("Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei, zuerst Adolf Hitler, dann seine Partei"; "... im Herbst geht der Führer, und im Mai die Partei"; "... im Monat Dezember, gibt's wieder ein Ei"; "... rückwärts im Dezember und vorwärts im Mai"; "... mein Mann ist in Rußland, ein Bett ist noch frei" etc.). Diese Parodien führten dazu, dass das Lied in NS-Kreisen kontrovers bewertet wurde. Für ein (immer wieder behauptetes) Verbot des Liedes im "Dritten Reich" gibt es jedoch keinen Beleg.

V. Auch im antifaschistischen Exil diente Raymonds Schlager als Grundlage einer Abrechnung mit den NS-Herrschern, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ (Edition E). Ebenso finden sich in anderen Sprachen antifaschistische Parodien zu diesem Lied: Sogar im Konzentrationslager konnte sich damit Widerstand und Hoffnung formulieren (Edition F).

VI. Im aktiven musikalischen Repertoire der Nachkriegsjahre spielte das Lied kaum mehr eine Rolle. Der Schlager "Es geht alles vorüber" ist vielmehr ein generationsspezifisches Lied, das in erster Linie für die Kriegsgeneration einen markanten Code im historischen Gedächtnis darstellt. Häufig wird es als typischer nazistischer "Durchhalteschlager" bewertet, genau besehen ist das Lied aber eher ein Credo privatistischen Durchkommen-Wollens. Seine politischen Dimensionen bleiben dagegen diffus, sie oszillieren zwischen potentiell opportunistisch und aufmüpfig zugleich.

ECKHARD JOHN
(Februar 2007)



Literatur

  • Eckhard John: "Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei". Geschichte eines "Durchhalteschlagers". In: Lied und populäre Kultur / Song and Popular Culture 50/51 (2005/06), S. 163–222.


Quellenübersicht

  • Ungedruckte Quellen: kaum Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung (nur Parodien)
  • Gedruckte Quellen: hauptsächlich als Notendruck, sehr selten in Gebrauchsliederbüchern, viele sonstige Rezeptionsbelege
  • Bild-Quellen: gelegentlich auf Liedpostkarten
  • Tondokumente: häufig auf Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Eckhard John: Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei (2007). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/es_geht_alles_vorueber/>.


© Deutsches Volksliedarchiv
last modified 12.09.2012 10:56
 

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