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Liederlexikon

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You are here: Home Lieder Ein Schmerzensruf durchdringet Rußlands Reiche Edition A: Erste Publikation 1914
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A. Ein Schmerzensruf durchdringet Rußlands Reiche

(Erste Publikation 1914)


Text: Michael Frank (Kolonie Holstein) zugeschrieben
Melodie: nach "Heinrich schlief bei seiner Neuvermählten"

Scan der Editionsvorlage
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Zur Mordtat in der Kolonie Holstein (1856)

1. Ein Schmerzensruf durchdringet Rußlands Reiche,
Noch nicht genug – nach Deutschland dringt er hin:
Es hat ein deutscher Kolonist gemordet
Sein eigen Weib und auch sein eigen Kind.
 
2. Dort in dem Wald, wo wir Holz hauen wollten,
Wo keiner seinen Vorsatz hat gekannt,
Griff er sie an mit Müh und ohne Hilfe
Und würgte sie mit eigner Manneshand.
 
3. Schauervolle Tat, wenn man es recht bedenket
Und seine Eltern bis in Tod betrübt!
Und von Soldaten, die dem Kaiser dienen,
Muß er sich lassen nach Sibirien führn.|[S. 32]
 
4. "O Vaterland, jetzt muß ich weiter reisen
Und auf der Landstraß nach Sibirien gehn;
Ich muß durch Wälder, Tal und Klüfte wandern
Und muß nun scheiden aus des Vaters Haus.
 
5. Mein Auge tränt, mein Herze will zerspringen,
In Angst und Jammer muß ich nun dahin.
Wer hat gemacht das Leiden und den Jammer?
Der Teufel und das böse Fleisch und Blut."


J[ohannes] E[rbes], P[eter] S[inner]: Volkslieder und Kinderreime aus den Wolgakolonien. Ssaratow: Buchdruckerei Energie 1914,  S. 31f. (Nr. 24) und S. 224f.
DVA: V 1/3090

Dort in den Anmerkungen (S. 224f.) die folgenden beiden Zusatzstrophen, die "unter den Alten" noch "bekannt gewesen" seien:

Ihr Leut, ihr Leut, hätt ich es recht bedenket,
Und hätt mein Leben nicht auf die Wag gesetzt,
So braucht ich nicht in diesem Elend laufen!
Denn meine Mutter hat mich dazu verhetzt.

O Missetat, wie bist du doch geschehen!
Ach könnt ich dich doch ungeschehen sehn!
Der böse Feind hat mich dazu verleitet,
Er war die Schuld an diesem meim Begehn.

Außerdem folgende Kontextinformationen: aufgezeichnet in den Kolonien "Holstein, Rosenberg, Schilling, Kukkus, Stahl. Ist übrigens auch in allen Kolonien bekannt. – Gesungen wird es nach der Melodie: 'Heinrich schlief bei seiner Neuvermählten' (siehe Nr. 43). Diesem Liede liegt eine wahre Begebenheit zugrunde: 1856 ermordete der junge Kolonist Jung in der Kolonie Holstein mit Mitwissen seiner Mutter seine junge Frau. Er hatte bereits schon das erste mir ihr gezeugte Kind in der Wiege erstickt. Als die Frau zum zweitenmal schwanger wurde, schickte er sie eines Tages hinaus nach dem Walde das Vieh zu hüten. Gegen Abend erschien er selbst und vollbrachte im Walde den schauerlichen Mord. Eine Frau aus derselben Kolonie, die zufälligerweise im Walde gewesen und die Mordtat aus einem Versteck heraus mitangesehen hatte, machte Anzeige darüber im Kolonieamt. Jung wurde verhaftet, war geständig, bekam die Knute und wurde lebenslänglich nach Sibirien verschickt. – Es ist heute noch in den Kolonien ein vielgesungenes, aber auch sehr zersungenes Lied. Schwerlich liegt es uns in seiner ursprünglichen Gestalt vor. [...] Als Dichter dieses Liedes wird ein Kolonist aus Dönhof, Michael Frank, genannt, bis 1848 Kreisschreiber in der Kolonie Holstein. Dort soll er auch nach Rücktritt vom Amte wohnhaft gewesen sein."


Editorische Anmerkung:
In einem 1922 publizierten Artikel beschreibt Peter Sinner zudem, wie eine Gruppe Russlanddeutscher während einer Schiffahrt ebendieses Lied anstimmt: "Im Sommer 1913 fuhr einer der beiden Herausgeber [des wolgadeutschen Liederbuches von Erbes/Sinner] auf einem der kleinen finnländischen Dampfer die Wolga hinauf nach Saratow. Da auf einmal, horch! ein gewaltiger Gesang. Das war kein russischer Gesang, das war ein deutsches Volkslied! Das gute Jahr war den vielen Deutschen auf dem Schiffe in die Glieder gefahren und hatte ihnen die Zunge gelöst, und gar mächtig, wie aus einer vollen Kirche heraus, erklang aus dem Munde der deutschen Männer und Frauen das Kolonistenlied: Ein Schmerzensruf durchdringet Rußlands Reiche [...]. Die Russen an den Teetischen und Schnapsflaschen waren verstummt und schauten verwundert nach den stets so einsilbigen Deutschen auf, sie erhoben sich und standen um die deutschen Sänger herum und lauschten wie in Erbauung dem deutschen Gesang." P.[eter] Sinner: Das deutsche Lied in den Wolgakolonien, in: Wolgadeutsche Monatshefte 1 (1922), S. 25-29, Zitat S. 26.
last modified 31.08.2011 02:25
 

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